Don Juan Archiv Wien / Stvdivm fæsvlanvm
XXI. Forschungsgespräch / XXI. Research Talk
Diplomacy and/in Cultural History
Ort: Wien, Don Juan Archiv
Freitag, 13. November 2015, 14.00 Uhr
Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
University of Vienna:
Claudia Römer
Luis Tercero Casado
Rocio Martínez Lopez
Laura Oliván Santaliestra
University of Salzburg:
Arno Strohmeyer
Elisabeth Lobenwein
University of Szeged:
Sándor Papp
Zsuzsanna Cziráki
Hungarian Academy of Sciences:
Gábor Kármán
Don Juan Archiv Wien:
Reinhard Eisendle
Silvia Freudenthaler
Tatjana Marković (University of Music and Performing Arts Vienna)
Matthias J. Pernerstorfer
Suna Suner
Hans Ernst Weidinger
Das XXI. Forschungsgespräch brachte 18 Forscherinnen und Forscher aus Italien, Österreich, Spanien und Ungarn an den runden Tisch, um zum Thema Diplomacy and/in Cultural History zu diskutieren. Matthias J. Pernerstorfer, Direktor des Don Juan Archivs Wien (DJA), begrüßte die Gäste, stellte die gastgebende Institution vor und erläuterte das Programm.
Anschließend richtete Laura Oliván Santaliestra Grußworte an die prominent besetzte Runde. Santaliestra, die aktuell ein Projekt zu „Kaiserliche Botschafterinnen zwischen den Höfen in Madrid und Wien (1650–1700)" am Institut für Geschichte der Universität Wien durchführt, hat maßgeblichen Anteil an der Konzeption und Organisation dieses Forschungsgespräches.
Hans Ernst Weidinger ging auf die Frage ein, was das STVDIVM FÆSVLANVM, das sich unter anderem der Diözesangeschichte von Fiesole sowie dem kulturellen Transfer zwischen den habsburgischen Erblanden und der Toscana widmet, mit der Diplomatie-Forschung verbindet. Den Anfang macht die Botschaft von Bischof Rusticus (6. Jh.) nach Konstantinopel, gefolgt von den diplomatischen Beziehungen im Umfeld der Hochzeiten Byzantinischer Prinzessinnen mit Kaisern des Heiligen Römischen Reiches und österreichischen Herzögen bis hin zu drei bedeutenden diplomatischen Ereignissen im 15. Jahrhundert: Die Teilnahme des byzantinischen Kaisers Johannes VIII. Palaiologos (r. 1425–1448) am Unionskonzil in Florenz (1438/1439), die Krönungs- und Hochzeitsreise von Friedrich III. über Florenz nach Rom (1452) und die Gesandtschaft des letzten Kaisers von Trapezunt, die über Wien und Venedig zuletzt nach Florenz führte (1460).
Reinhard Eisendle, der Betreuer des Forschungskreises Diplomatica am DJA, ging auf Diplomaten und Diplomatie in den Don-Juan-Stücken von den Anfängen im frühen 17. Jahrhundert bis zum Don Giovanni von Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadé Mozart ein: Bereits in der frühesten bekannten Fassung von Tirso de Molina finden sich zwei Diplomaten unterschiedlichen Formats, und spielt die Durchkreuzung der (Heirats-)Diplomatie des Königs durch Don Juan eine zentrale dramaturgische Rolle. Da Pontes und Mozarts Don Giovanni, ursprünglich als Hochzeitsoper für Kaiser Josephs II. Nichte Maria Theresia, älteste Tochter des Großherzogs von Toskana Leopold, und Anton von Sachsen, Bruder wie Thronerben des sächsischen Kurfürsten, in Prag geplant, ist in ein komplexes Netz diplomatischer Beziehungen eingebettet. Die Beschäftigung mit Diplomatie ist deshalb für ein Don Juan Archiv naheliegend.
Auf dem Feld der Diplomatie sind für das Don Juan Archiv die diplomatischen Beziehungen des Heiligen Römischen Reiches respektive der Casa d’Austria zu vier Regionen von Interesse: 1. Italien, 2. Portugal und Spanien, 3. Osmanisches Reich sowie 4. Herrschaftsbereich der Jagellonen-Dynastie.
Derzeit bestehen folgende konkrete Projekte:
1. Diplomatie als performatives Ereignis: Theater als Teil der Diplomatie / Diplomatie als „theatraler“ Handlungsraum.
3. Don Giovanni als paradigmatischer Fall für das Verhältnis von Theater und Diplomatie.
2. „Fasti imperiali nella Roma papale“: das Theater der kaiserlichen Botschaften im päpstlichen Rom – der kulturell-politischen Arena der europäischen Diplomatie.
4. Der erste Wiener Kongress von 1515.
Suna Suner, die Betreuerin des Forschungskreises Ottomania am DJA, berichtete, wie das Don Juan Archiv im Zuge seiner Forschungen zu der seit 2008 abgehaltenen Symposien-Reihe „Ottoman Empire & European Theatre“ die Bedeutung der Diplomaten für die Rezeption der Oper im Osmanischen Reich feststellte, da es in einer Botschaft war, wo im Karneval 1786 die erste italienische Oper im Osmanischen Reich – inszeniert und ausgeführt von Personen aus dem diplomatischen Dienst – aufgeführt worden ist. In der genannten Symposien-Reihe wurde 2013 bis 2015 ein Schwerpunkt auf Diplomatie gelegt (der Band soll 2016 erscheinen), und Suner selbst legte eine Studie zu „Opera and Diplomacy“ vor, die ebenfalls 2016 als Band der Reihe Ottomania publiziert werden soll – beide Bände werden zugleich die neue Publikationsserie Diplomatica eröffnen.
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Arno Strohmeyer, Professor am Institut für Geschichte der Universität Salzburg, stellte seinen methodischen Zugang einer Kulturgeschichte der Diplomatie vor: Entgegen der früheren ereignis-orientierten Diplomatie-Geschichtsschreibung arbeitet er mit einem kulturgeschichtlichen Ansatz. Derzeit leitet er ein Projekt, in dem diplomatie- und medienwissenschaftliche Ansätze kombiniert werden. Es wird untersucht, durch welche Medien – Briefe, Relationen, Reiseberichte, Sefâretnâmes – die Korrespondenz erfolgt und Informationen zwischen Konstantinopel und Wien ausgetauscht werden. Besonders aufschlussreich ist dies, da das jeweilige Medium bestimmte Inhalte und deren Darstellung bedingt.
Elisabeth Lobenwein, ebenfalls vom Institut für Geschichte der Universität Salzburg, arbeitet derzeit an einem Forschungsprojekt zum Netzwerk der Diplomaten in Konstantinopel in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts aus, und möchte sich auf Diplomaten aus dem Heiligen Römischen Reich / Österreich, England, Frankreich und Venedig konzentrieren, um zu untersuchen, inwieweit interkulturelle Unterschiede festzustellen sind.
Sándor Papp, Professor an der Universität Szeged, ist einer der renommiertesten ungarischen Forscher auf dem Gebiet der Diplomatiegeschichte. In einem langjährigen Projekt studiert Papp, wie Siebenbürgen als selbstständiger Staat aufgrund einer (gefälschten) Urkunde von Sultan Soliman I. gegründet werden und sich 120 Jahre lang halten konnte, woraus sich auch die Frage ergibt, wie die diplomatische Korrespondenz Siebenbürgens erfolgte.
Zsuzsanna Cziráki, Projektmitarbeiterin von Sándor Papp, ging auf ein konkretes Projekt ein, das in Kooperation mit der Universität Salzburg durchgeführt wird. Die grundsätzlichen Fragen sind: Wie funktioniert der Austausch zwischen Kulturen, welche Probleme treten auf und welche Strategien werden zu deren Lösung entwickelt? Die diplomatische Korrespondenz, deren Herausgabe in Ungarn eine lange Tradition hat, spielt hier eine bedeutende Rolle. Ediert werden die Materialien zum Diplomaten Simon Reniger (tätig 1649–1666). Ergebnis soll eine reichhaltige Datensammlung sein, deren Bedeutung weit über den engen Kreis der Diplomatie-Forschung hinausgeht. Über Informationen zur politischen Geschichte hinaus werden besonders im Bereich des Alltagslebens und des interkulturellen und interreligiösen Zusammenlebens neue Einblicke erwartet.
Gábor Kármán von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest und Organisator der 4. Konferenz des „Premodern Diplomats Network“ am 25. und 26. September 2015 in Budapest schloss seine Ausführungen an. Ein Projekt zur Publikation der Dokumente des Diplomaten Johann Rudolf Schmid zu Schwarzenhorn (1629–1643) ist beinahe abgeschlossen. Zusätzlich zur Edition und Kommentierung geht es um die Frage, wie ein christlicher Staat im Osmanischen Reich funktioniert. In einer Konferenz von 2009 wurde untersucht, wie die diplomatischen Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern und dem Machtzentrum Konstantiniyye funktionierten (die Publikation erschien 2013). In einer weiteren Konferenz wurde heuer die Kommunikation der Länder an der Peripherie untereinander erörtert.
Tatjana Marković, am Don Juan Archiv Wien sowie der Universität für Musik und darstellende Kunst tätig, widmet sich in mehreren Projekten der Musikdramatik in Südosteuropa. Diese ist in vielfältiger Weise mit der Diplomatie verbunden. Einen Themenbereich stellen die Chormusik und ihre diplomatische Bedeutung dar, die in einem Projekt zu Banat und Vojvodina und einem anderen zur Beogradsko pevačko društvo (Belgrader Chor-Gesellschaft, gegründet 1853) untersucht wird. Ein weiteres Forschungsfeld bildet der Zusammenhang zwischen Oper und Selbstrepräsentation, den Marković anhand zweier höchst unterschiedlicher Länder untersucht, einerseits in einer Fallstudie zu Montenegro und dem Wirken des Diplomaten und Komponisten Dionisio de Sarno San-Giorgio, der ein Libretto des Prinzen (und späteren Königs) Nikola Petrović Njegoš I. vertonte, andererseits zu Katharina II. von Russland, die selbst Libretti verfasste.
Claudia Römer, Professorin am Institut für Orientalistik der Universität Wien, forscht zur osmanischen Diplomatik und damit verbunden zur osmanischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie zur Bürokratiegeschichte; als Linguistin des Osmanischen geht es ihr stets auch um Aspekte der Grammatik, insbesondere der Syntax und Stilistik. Sie interessiert sich für die handgeschriebene Übungsbücher, d. h. schriftlich ausgearbeitete Übungen oder teilweise auch Prüfungsarbeiten der Zöglinge der K.K. Akademie orientalischer Sprachen (1754 von Maria Theresia gegründet). Thomas Chabert, ein Autor einer Kurze[n] Anleitung zur Erlernung der türkischen Sprache für Militär Personen (Wien 1789) verfasste das erste Theaterstück im Osmanischen Reich: Hadgi Bektache ou la création des Janissaires. Drame en langue turque en trois actes / Hikâye-i ibda'-i Yeniçeriyan ba-bereket-i Pîr-i Bektaşiyan Şeyh Hacı Bektaş veli-i müsliman.
Luis Tercero Casado von der Universität Wien untersucht die Diplomatie zwischen den Höfen in Madrid und Wien im 17. Jahrhundert (1648–1659). Tercero Casado versucht nachzuweisen, dass das Ende des Dreißigjährigen Krieges zwar eine Zäsur darstellte, doch kein Ende bedeutete, sondern vielmehr eine Verwandlung der Beziehungen. Diese waren bis 1659 nicht so sehr auf einer Fortsetzung gemeinsamer dynastischer Politik fokussiert, jedoch auf eine intensive – allerdings verschleierte – militärische Kooperation gegen Frankreich, die die gegenteilige Erwartungen beider habsburgischen Höfe offenbar machte. Ein zweites Forschungsfeld stellt die Überprüfung der These eines Verschwindens der spanischen Monarchie von der europäischen Bühne der großen Mächte nach 1648 dar. Vielmehr förderte Westfalen, im Zusammenhang mit der Suche von Unterstützung und neuen Verbündeten, die Hervorbringung neuer, kreativer Lösungen in der spanischen Diplomatie („history of adaptation“).
Rocio Martínez Lopez, Gastforscherin an der Universität Wien, konzentriert sich auf die drei Kandidaten auf den Spanischen Thron nach dem Tod von Carlos II. im Jahre 1700: Carlos’ Schwester Kaiserin Margarita, die erste Gattin von Leopold I., ihre Tochter Maria Antonia, verheiratet mit Maximilian II. Emanuel von Bayern, und ihr Sohn Joseph Ferdinand Leopold von Bayern. Wie beeinflusste diese Situation die diplomatischen Beziehungen zwischen Madrid und Wien resp. Bayern? Wer waren diese Frauen und welche Macht hatten sie? Bedeutende Quellen dafür sind die Briefe der Gesandten.
Laura Oliván Santaliestra, Gastforscherin an der Universität Wien, untersucht die kaiserlichen Botschafterinnen, d. h. die Gemahlinnen der Botschafter zwischen Madrid und Wien in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, während des Spanischen Erbfolgekrieges. Wie wurde von diesen Botschafterinnen „Weiblichkeit“ unter politischen und kulturellen Vorzeichen inszeniert?
Silvia Freudenthaler, Mitarbeiterin des Don Juan Archivs Wien, behandelte die Fragen, welche spanischen Stücke – vermittelt etwa durch Graf Ferdinand Bonaventura von Harrach, außerordentlichen Botschafter des Kaisers in Madrid – auf der kaiserlichen Bühne aufgeführt wurden. Welche Stoffe hatten wann Konjunktur? So wurde die Darstellung lächerlicher spanischer Figuren erst nach der Trennung = dem Aussterben der spanischen Linie im Jahr 1700 möglich; danach aber ist ein Boom von Don-Quijote-Stücken festzustellen. Zudem ist Freudenthaler an der Herausgabe der gesammelten Schriften von Saverio Franchi beteiligt, mit dem gemeinsam jenes obgenannte Projekt des DJA entstanden ist, das die „Fasti imperiali nella Roma papale“ behandelt.
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Für die allgemeine Diskussionsrunde hielt R. Eisendle ein Impulsreferat: Diplomatie stellt ein in einen zeremoniellen Kontext eingebundenes System von Zeichen dar, die von beiden Seiten verstanden werden müssen, damit der Austausch der Interessen funktionieren kann. Das führte im Laufe der Jahrhunderte zu einer Professionalisierung der Diplomatie, doch ist nicht von einer allgemeinen Entwicklung auszugehen, sondern eine Differenzierung unter historischen resp. geographischen und kulturellen Gesichtspunkten festzustellen.
Als Faktoren, welche diese Entwicklung beeinflussten, führte A. Strohmeyer vier an:
1. Theorie der Diplomatie, die in Handbüchern ausformuliert und offenbar auch rezipiert wurde.
2. Tradition, d. h. übernommene Vorgaben, wie etwa die Audienzen abliefen.
3. Praxis, d. h. die Reaktionen auf die Erfahrungen aus konkreten diplomatischen Akten.
4. Anthropologie, d. h. die Kenntnis der Gesten, Verhaltensweisen etc. des Gegenübers.
H. E. Weidinger betonte den theatralen Charakter der Diplomatie, den ein Vergleich einerseits mit der festgeschriebenen Texten der Commedia premeditata, andererseits mit der improvisierten Kunst der commedia dell’arte verständlich machen kann: die Rollen sind vergeben, die Ziele stehen vorab fest, und es gilt auf der Bühne der Diplomatie, auf die Reaktionen des Gegenübers einzugehen, eventuell den „Umweg“ zu wählen, wenn der direkte Weg verstellt ist, um sein Ziel zu erreichen. Es ist ein schauspielerisches Verhalten, das hier aber auch etwa beim Verfassen von Relationen, Briefen etc. an den Tag gelegt werden muss.
G. Kármán fügt hinzu, dass dieses Rollenspiel von großer Wichtigkeit war, damit es nicht zu einer Beleidigung des Gegenübers kam. R. Martínez Lopez und L. Tercero Casado betonten die Notwendigkeit, im Rahmen öffentlicher Auftritte in seiner Rolle zu bleiben und die vorgegebene Linie zu vertreten, doch gab es durchaus auch die Möglichkeit, einander abseits des offiziellen Zeremoniells zu begegnen – und „Umwege“ zu beschreiten.
T. Marković wies auf den Unterschied der diplomatischen Bemühungen der Großmächte im Vergleich zu kleinen Ländern hin, die auf eine ausgefeilte Diplomatie angewiesen waren; das reicht bis zur Absolvierung einer diplomatischen Mission in den Kleidern des Landes, dem die Botschaft galt. Wichtig ist die perfekte Kenntnis der Usancen des mächtigeren Landes. H. E. Weidinger ergänzte die Bedeutung eines komplexen diplomatischen Netzwerkes für kleine politische Einheiten; Ragusa hatte diesbezüglich aufgrund seiner Dragomanen einen besonderen Ruf.
Zum Abschluss brachte L. Tercero Casado das Gespräch auf Doppel-, Tripel und Quadrupel-Agenten durch seinen Hinweis auf eine Gesandtschaft aus Madrid nach Konstantiniyye (1649-1650), geführt von Allegretto Allegretti, einem Ragusaner Priester, der auch als Abgesandter des Kaisers in verschiedenen europäischen Missionen tätig war und auch einen Wohnsitz in Wien (am Graben) unterhielt. Eine nähere Untersuchung von Allegrettis diplomatischer Tätigkeit könnte Einblick in nicht wenige ansonsten separat untersuchte Zusammenhänge geben.