Kirche und Theater hatten im Laufe der Jahrhunderte stets ein zwiespältiges doch inniges Verhältnis zu einander. Nahm das Theater schon in der Antike seinen Ausgangspunkt bei kultischen Spielen, so war es im Mittelalter der Bereich der christlichen Liturgie, aus dem sich die europäische Theatergeschichte aufs Neue entfaltete. Das – zumindest – jeden Sonntag gefeierte Messopfer hat eminent theatralen Charakter, und der christliche Jahreskreis bietet vielfältige Anlässe für ein In-Szene-Setzen des Glaubens. In vielen gotischen – und noch in barocken – Kirchen zeigt sich das in der Architektur, etwa in Himmelfahrtslöchern, die dafür dienten, zu Christi Himmelfahrt eine Christus-Statue tatsächlich emporsteigen und im „Himmel“ verschwinden zu lassen, oder in Heiliggeistlöchern, durch welche Blütenblätter oder eine Taube zur Versinnbildlichung des Pfingstwunders auf die Gemeinde der Gläubigen herniederkamen.
Wie sehr diese Gemeinde selbständig mitwirken konnte und sollte, veränderte sich immer wieder, da einerseits eine aktive Beteiligung den Glauben der Menschen fördert, andererseits aber die Gefahr eines theologischen Wildwuchses besteht – was in Zeiten der Bemühung um theologische Eindeutigkeit für die kirchlichen Autoritäten ein Problem darstellt. Auf eine Blütezeit der von Laien getragenen Passionsspiele im 17. und frühen 18. Jahrhundert etwa folgt eine Verbotswelle unter Maria Teresia und Joseph II. – dafür wird von kirchlicher Seite der heute übliche Kreuzweg mit 14. Stationen gefördert, der seinerseits durchaus dramatisch-theatralen Charakter hat.
Ein besonderes fruchtbares Feld für die an der Religions- und Frömmigkeitsgeschichte interessierte theater- und kulturwissenschaftliche Forschung sind die Feierlichkeiten während der Karwoche und Ostern. Einzug in Jerusalem, Letztes Abendmahl mit Fußwaschung, Ölberg-Andacht, Gefangennahme, Verurteilung, Kreuzigung und Auferstehung, Apostenllauf und der Besuch der drei Marien am Grab sind dramatische Szenen, die sowohl in der Liturgie theatralen Ausdruck fanden als auch hundertemale von Laien aufgeführt wurden. Auch in Kleindenkmälern – vom Marterl über den Kreuzweg zum Kalvarienberg mit (oder ohne) Heiliggrabkapelle wird diese Passionsfrömmigkeit sichtbar.
Eine Schnittstelle zwischen diesen Äußerungen der Liturgie- und Frömmigkeitsgeschichte mit der Musikgeschichte bilden jene Werke, die vor dem Heiligen Grab (Santo Sepolcro) – von Gründonnerstag bis Karsamstag – konzertant oder in Szene gesetzt aufgeführt wurden. In diesen Tage wurde ein häufig unter Beteiligung von Theaterarchitekten und -malern kunstvoll gestaltetes und oft mit illumnierten bunten Glaskugeln und Blumen geschmücktes Heiliges Grab errichtet, in dem der Leichnam Christi lag und das Allerheiligste (d.h. eine Monstranz mit konsekrierter Hostie = Jesus Christus) zur Anbetung ausgesetzt war.
Das Don Juan Archiv Wien betreibt und fördert die Erforschung dieser Zusammenhänge in vielfältiger Weise.