Buchhandlung oder Tuchhandlung?

Die "Buchhandlung" Noderer ist auf diesem Stereofoto, von dem hier nur eine Hälfte abgebildet ist, deutlich erkennbar, die bei Buchhändlern übliche Auslagendekoration mit Büchern fehlt jedoch!


Ebenso auf der Ansichskarte Nr. 192 von Josef Popper!


Das Geschäft Noderers befand sich im Innenhof des Hauses 628, dessen Aussenfront am Stephansplatz ein anonymer Fotograf um 1860 festgehalten hat:

Auch August Stauda, Nr. 2289, zeigt das Haus auf einem undatierten Foto



Der Maler Jakob Alt zeigt in einem undatierten Aquarell, wie auch auf dem Foto erkennbar, irrigerweise mit nur vier Fenstern im ersten Stock


J. W. Frey ging mit der historischen Wahrheit ebenso großzügig um, er deutet sechs Fenster an:

Die Südfront bot nur einer einzigen Fensterachse Platz. Nach der Abtragung dieses Hauses wurde der Stephansplatz in diesem Bereich jedoch vergrössert. Damit entstand am benachbarten Haus 632 an der Südseite eine vergrößerte Aussenfront, in die Noderer sein Geschäft verlegte. Der Gänsemädchenbrunnen des Innenhofes unmittelbar vor Noderers Geschäft wurde gerettet und nach einer Zwischenlagerung in der Mariahilferstraße neu aufgestellt:


Der heutige Standort des Gänsemädchenbrunnens
am Anfang der Mariahiferstraße am Abgang in die Rahlstiege


Zurück zu Noderer: Am neuen Standort im Haus Nr. 632 zog er, wie Kisch es zeigt, in die neu zugänglich gewordene Südfront :


Eine Buchhandlung Noderer sucht man in Lehmanns Adressbuch vergebens:


Lehmann 1859

Lehmann 1861

Lehmann 1864

Lehmann 1867, 1868

Lehmann 1881 und Folgejahre

Diese kleine Dokumentation legt nahe, dass Wilhelm Kisch in seinen "Straßen und Plätzen Wiens" vermutlich eine Tuchhandlung mit einer Buchhandlung verwechselt hat!
Sämtliche Abbildungen: Sammlung Helfried Seemann