Die Affäre um Alseggers „Mein vielgeliebter Mann“
Zeitungsartikel in: „Neues Österreich“, Dienstag, 10. Februar
1948
„„Ich an Dich“ kontra „Mein vielgeliebter Mann“
Plagiatsaffäre zwischen Dinah Nelken und der Schriftstellerin
Alsegger – Franz Theodor Csokor und Professor Rollett werden als
Sachverständige entscheiden.
Im Frühjahr 1939 tauchte auf dem Büchermarkt ein Roman
auf, der wegen seiner Originalität überall Aufsehen
erregte. Er nannte sich „Ich an dich“ und schilderte eine Liebesgeschichte
von der ersten Begegnung bis zum Happy-End. Ungewöhnlich
daran war, daß die Autorin diese Geschichte nicht erzählte,
sondern auf eigenartige Weise miterleben ließ: durch maschingeschriebene
Briefe, Rendezvousversprechen auf Kinokarten, durch eine Liebeserklärung
auf einem Zeltschein, eingeklebte Telegramme und Federzeichnungen
auf jeder Textseite. Die Begeisterung, die das bunte Bilderbuch
der Liebe erweckte, fand ihren Ausdruck in der rapid ansteigenden
Auflageziffer. Selbst als die Verfasserin Dinah Nelken als politisch
Verfolgte emigrieren mußte, wurde das Buch weiterverkauft.
Der Erfolg des „Ich-an-dich“-Romans erweckte den Neid eines anderen
Verlegers. Als von Dinah Nelkens Werk gerade 14.000 Stück
verkauft waren, veröffentlichte der Wallishauser-Verlag ein
Buch von Maria Barbara Alsegger, das „Mein vielgeliebter Mann“
betitelt, und in demselben quadratischen Format gedruckt war wie
das andere.
Auch Maria Alsegger wandelte das Schicksal zweier Menschen, vom
Kennenlernen auf der Straße bis zur Ankündigung eines
ungeborenen Kindes ab, nur ist darin schon der Goebbels-Propaganda
Rechnung getragen; die Liebesgeschichte erscheint in Zeit und
Geist des Nazikrieges transponiert. Überflüssig zu erwähnen,
daß auch das Arrangement, der Einbau von Zeichnungen, Telegrammen
usw. dem erfolgreichen Vorbild getreulich nachgeahmt war.
Beim Erscheinen von Maria Alseggers Roman lebte Dinah Nelken in
der Emigration und konnte deshalb ihre Rechte nicht geltend machen.
Nach 1945 hat sie jedoch gegen den Verlag und die Autorien des
Romans „Mein vielgeliebter Mann“ die Klage wegen Verletzung des
Urheberrechts und unlauterem Wettbewerb angestrengt. Gestern fand
im Handelsgericht vor dem Präsidenten Wahle die erste Verhandlung
statt.
Der Vertreter der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. Oskar Stöger,
forderte eine Buße von 30.000 S und außerdem die Tantieme
von jedem verkauften Exemplar des Romans der geklagten Autorin.
Der Beklagtenvertreter wandte dagegen ein, daß Dinah Nelken
kein Urheberrecht beanspruchen könne, da schon vor ihrem
Roman Bücher in gleicher Art und Ausstattung veröffentlicht
worden seien.
Der Richter entschied, zwei Sachverständige über diesen
Punkt zu befragen und sie auch darüber einzuvernehmen, ob
Maria Alseggers Roman ein Plagiat an Dinah Nelkens Buch ist. Als
Sachverständige wurden die Präsidenten des Österreichischen
PEN-Clubs, Franz Theodor Csokor, und des Schriftstellerverbandes
Professor Dr. Edmund Rollett, bestimmt.“
Zeitungsartikel in: Neues Österreich, Freitag, 8. April
1949
„20.000 Schilling für ein literarisches Plagiat
„Mein vielgeliebter Mann“ muß an „Ich an Dich“ Schadenersatz
zahlen
Ein jahrelanger Rechtsstreit um den originellen Liebesroman „Ich
an Dich“ und sein getreues Ebenbild „Mein vielgeliebter Mann“ ist,
wie das „Neue Österreich“ erfährt, vor kurzem entschieden
worden. Die Autorin und der Verlag des inkriminierten Buches wurden
wegen unlauteren Wettbewerbes zu 20.000 S Schadenersatz verurteilt.
Dinah Nelken ist durch ihr Bilderbuch der Liebe „Ich an Dich“, das
im Frühjahr 1939 auf dem Büchermarkt erschien, bekannt
geworden. Selbst als die Schriftstellerin ins Ausland emigrieren
mußte, blieb ihr „Roman in Briefen“ weiter im Buchhandel und
erreichte die ungewöhnlich hohe Verkaufsziffer von 140.000
Exemplaren. Der Erfolg brachte den Wallishauser-Verlag auf den Gedanken,
dem Best-Seller aktuellen Feldpostbriefwechsel in gleicher Aufmachung
„nachzuempfinden“. Die Wiener Schriftstellerin Maria Barbara Alsegger
– ein Pseudonym für Gisa Gruber – schrieb den Text.
Ein paar Monate später erschien, dem Vorbild zum Verwechseln
ähnlich, „Mein vielgeliebter Mann“. Die Ähnlichkeit der
beiden Bücher war derart auffallend, daß mancher Leser
meinte, Dinah Nelken habe sich gleich andern Schriftstellern auf
Kriegspropaganda umgestellt.
Nach der Befreiung strengte Frau Nelken, vertreten von Rechtsanwalt
Dr. Oskar Stöger, deshalb gegen den Wallishauser-Verlag und
Maria Alsegger eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbes an. Die
künstlerische Entscheidung in dieser Plagiatsaffäre übertrug
das Gericht dem Präsidenten des Schriftstellerverbandes Prof.
Dr. Rollett und dem Verlagsleiter Dr. Peter Moll.
Beide Sachverständige erklärten übereinstimmend,
daß Dinah Nelkens Werk in Technik und Ausführung als
erstmalig anzusprechen sei. Prof. Dr. Rollett urteilte, daß
sich das Buch des Wallishauser-Verlages an den „Ich-an-Dich“-Roman
stark anlehne; Dr. Moll ging sogar noch weiter und sprach von einer
„Nachahmung in weitestem Ausmaße“.
Gestützt auf die Sachverständigengutachten gab der Richter
Frau Dinah Nelken recht. Maria Alsegger und der Wallishauser-Verlag
müssen ihr wegen unlauteren Wettbewerbes 20.000 S Schadenersatz
bezahlen.
In unseren Tagen einer sprichwörtlichen Buchkrise sind 20.000
S ein abenteuerlich hohes Entgelt für ein Buch, das man nicht
einmal selbst zu schreiben brauchte. Es ist wahrscheinlich, daß
fortan so mancher österreichische Autor eines Originalromans,
der nicht geht, sehnsüchtig nach einem Plagiator Ausschau halten
wird, der ihm auf dem Umweg über einen geistigen Diebstahl
zu seinen sonst imaginären Honoraren verhilft. “ |
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