Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag

VI. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs

Der 30jährige ABC-Schütz II: Die musikalische Seite

Ort: Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universtität Graz

22. JÄNNER 2010, 15:30 bis 19 UHR

 

Bericht: Matthias J. Pernerstorfer

 

Das 6. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs Wien fand in den Räumlichkeiten des Instituts für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz statt. Um der Zusammenarbeit der beiden Institutionen, die schon seit zwei Jahren zu mehreren Projekten sehr gut funktioniert, einen offiziellen Charakter zu geben, war eine Kooperationsvereinbarung vereinbart worden, die von der Gastgeberin Beatrix Müller-Kampel sowie von Hans Ernst Weidinger und Matthias J. Pernerstorfer unterzeichnet wurde. Der Vizerektor der Karl-Franzens-Universität Graz, Rechtshistoriker Martin Polaschek, betonte in seiner Rede die Besonderheit und Bedeutung dieser Kooperation zwischen einer öffentlich-universitären Institution und einer privat organisierten wissenschaftlichen Initiative.

 

Das Thema des Forschungsgespräches war das Projekt zum 30jährigen ABC-Schütz, genauer gesagt jene Partituren, die Wenzel Müllers Musik zu Karl Friedrich Henslers Text (1799) überliefern. Beim ersten Forschungsgespräch zu diesem Stück im April 2009 wies Alena Jakubcová auf Partituren aus München und Prag hin, weshalb eine Erweiterung des Projektes um die musikalische Seite notwendig erschien. Auf der Suche nach Expertinnen und Experten für die Bearbeitung dieses zuvor (der gängigen textorientierten Zugangsweise von Literatur- bzw. Theaterwissenschaft entsprechend) vernachlässigten Gebietes konnten zwei bestens geeignete Personen gefunden werden: Lisa de Alwis vom Institut für Musikwissenschaft der University of Southern California, Los Angeles, die weitere Partituren aus Frankfurt am Main und Wien beisteuerte, und David McShane, der als Bariton an der Grazer Oper sowie am Institut für Schauspiel an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz tätig ist.

 

David McShane, der für das Don Juan Archiv Wien bereits an Partitur-Editionen zu mehreren Don Juan-Opern gearbeitet hat, stellte seine in Zusammenarbeit mit Hans Ernst Weidinger entwickelte Editionsmethode vor. Die vierteilige Arbeit besteht aus dem Faksimile der jeweiligen Partitur (Autograph bzw. Apograph; im vorliegenden Fall der Abschrift aus der Bayerischen Staatsbibliothek, Sing. St.th. 364-1), der diplomatischen Umschrift, der Elaboration (jener Fassung, in welcher Korrekturen, Ergänzungen etc. eingetragen und visuell nachvollziehbar gemacht werden), sowie einer Aufführungspartitur. Um einen Eindruck von Wenzel Müllers Musik zu geben, spielte David McShane eine Gesangseinlage mit seinem Computer vor und sang den Text der dramatis personae. Als Beispiel dafür war die Gesangsstunde im fünften Auftritt des 2. Aktes (es handelt sich hierbei um das erste Quartett) des 30jährigen ABC-Schütz ausgewählt.

 

Lisa de Alwis, die aus Boulder (USA) live zugeschaltet war, stellte daraufhin sehr anschaulich die Besonderheiten der Komposition dieser Gesangseinlage vor. Die einleitenden Takte sind in Anlehnung an typische Einsingübungen gestaltet, danach folgt ein intelligent-parodistisches Spiel mit der traditionellen Solfeggio-Lehrmethode, bei welcher den Silben do (ut) – re – mi – fa – so – la – si bestimmte Töne der Oktave zugeordnet sind (traditionell c – d – e – f – g – a – h). So wechseln sich Passagen, in denen Taddädl (Tenor) und Rosel (Sopran I) offensichtlich Fehler machen, die das Solfeggio-System ad absurdum führen, mit höchst kunstvoll gestalteten Teilen ab – gerade auf diese aber reagieren die Gouvernante Jungfer Potasch (Sopran II) mit Kritik und der als Singmeister verkleidete Schnipp (Baß), der, worauf Jennyfer Großauer-Zöbinger hinwies, traditionelle Züge und Funktionen der Kasperlfigur übernimmt, mit einem „O weh!“, das wohl auf Kasperls „Au wedl!“ zurückzuführen ist.

 

Das Komische dieser Szene lässt sich nun anhand von Wenzel Müllers Musik erkennen. Die beiden Schüler machen sich über Lehrer und Lehrmethode lustig und erweisen sich gleichzeitig als die besseren Sänger. Die Komik durch Verkehrung hierarchischer Verhältnisse, wie sie Beatrix Müller-Kampel besonders für Johann Josef Felix von Kurtz’ Version des 30jährigen ABC-Schütz diagnostiziert, findet sich demnach ebenso in Karl Friedrich Henslers und Wenzel Müllers Version.

 

Das Forschungsgespräch machte das Potenzial, das in einer interdisziplinären Kooperation für die Erforschung des Wiener Volkstheaters steckt, ganz deutlich. Andrea Brandner-Kapfer und Jennyfer Großauer-Zöbinger wiesen darauf hin, dass viele Fragen, die sich in ihrem Projekt Mäzene des Kasperls stellen und für deren Klärung eine rein textorientierte Herangehensweise nicht ausreicht, dadurch beantwortet werden könnten. Bestimmte Fragen sind überhaupt erst aufbauend auf einer Zusammenarbeit zu stellen. In diesem Sinne ist die Fortsetzung der Forschungsgespräche vorgesehen und werden im Rahmen einer Tagung zum 30jährigen ABC-Schütz in der Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus am 25. Juni Ergebnisse dieser kooperativen Arbeit einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentiert.

 

 

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Letztes Update: 11.02.2015