Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag

I. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs

Wiener Repertoire im 18. Jahrhundert

Ort: Don Juan Archiv Wien

24. Juni 2008, 14 bis 17 Uhr

 

Bericht: Matthias J. Pernerstorfer

 

Die Idee, neben den groß angelegten Symposien kleinere Forschungsgespräche im Don Juan Archiv Wien zu organisieren, entstand aus dem Wunsch, eine Plattform zu schaffen, die es ermöglicht, spontan aktuelle Forschungsfragen zur Diskussion zu stellen und dadurch Personen und Organisationen im Bereich Opern- und Theaterforschung zu vernetzen. Sich dem Thema Wiener Repertoire im 18. Jahrhundert zu widmen, lag nahe, da derzeit mehrere WissenschaftlerInnen zur Opern- und Theatergeschichte um 1740 forschen. Am Dienstag, den 24. Juni 2008, fand daher ein Forschungsgespräch im Don Juan Archiv Wien zum Thema Wiener Repertoire im 18. Jahrhundert statt. Die Hoffnung, Synergieeffekte zu erzielen, war, so lässt sich resümieren, durchaus gerechtfertigt.

 

Präsentationen des Don Juan Archivs Wien

Michael Hüttler, der Leiter des Don Juan Archivs Wien, konnte eine prominent besetzte Runde begrüßen: Claudia Michels (Werkvertrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Kommission für Musikforschung), Andrea Sommer-Mathis (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte), Herbert Seifert (Universität Wien, Institut für Musikwissenschaft) und Reinhard Strohm (University of Oxford, Faculty of Music) sowie Gabriele C. Pfeiffer, Suna Suner, Johannes Schweitzer und Matthias J. Pernerstofer (alle Don Juan Archiv Wien).

 

Michael Hüttler wies in der Einleitung auf die Bedeutung der Repertoire-Forschung für das Don Juan Archiv Wien hin. Das Archiv entstand im Zuge von H. E. Weidingers Rekonstruktion der Aufführungsgeschichte von Don Juan-Werken im Rahmen seiner Dissertation Il Dissoluto Punito. Untersuchungen zur äußeren und inneren Entstehungsgeschichte von Lorenzo da Pontes & Wolfgang Amadeus Mozarts DON GIOVANNI (Wien 2002; das Repertoire der italienischen Oper bis 1800 wurde hier sehr ausführlich behandelt).

 

Zudem sprach Michael Hüttler in der Einleitung über die seit langem durchgeführten Forschungen zum Repertoire des Don Juan Archivs Wien (immerhin besteht das Archiv selbst seit 20 Jahren) und verwies dabei auf die Projekte zum Repertoire der Don Juan-Stücke (Schauspiel, Ballett, Oper), zum zentraleuropäischen Repertoire und auf das aktuelle Projekt Ottoman Empire and European Theatre, dem in diesem Jahr zwei Symposien in Wien (25. bis 26. April) und Istanbul (5. bis 6. Juni) gewidmet waren und dessen Fortsetzung für weitere fünf Jahre geplant ist.

 

Johannes Schweitzer stellte im Rahmen einer Führung durch die Räumlichkeiten des Archivs die Bestände vor: Die umfangreichen Materialien zu Don Juan / Don Giovanni, die Mikrofilm-Editionen der Albert Schatz-Collection (Washington, Library of Congress) und der Sammlung German and Austrian Drama (Harvard, University of Harvard), den Microfiche-Katalog Libretti in deutschen Bibliotheken (München 1992), Claudio Sartoris Catalogo analitico I libretti italiani a stampa dalle origini al 1800. Con 16 Indici analitici (Cuneo 1990-1994) etc.

 

Die Präsentation des im Besitz des Don Juan Archivs Wien befindlichen Komplex Mauerbach übernahm die Betreuerin dieses Bestandes, Gabriele C. Pfeiffer. Sie führte dabei an, dass es für die Repertoireforschung wünschenswert wäre, nach der Inventarisierung und der Katalogisierung des Komplex Mauerbach zu überprüfen, wann und wo die einzelnen der in den rund 2900 Büchlein enthaltenen ca. 3600 Stücke aufgeführt wurden.

 

Matthias J. Pernerstorfer ging auf ein ähnliches Projekt zur Theater-Bibliothek Pálffy ein. Hier wurde bereits mit der Recherche zu den Aufführungen der rund 2300 Stücke begonnen. Einige schon von der Repertoire-Forschung erstellte Spielpläne zu den Wiener Theatern wurden digitalisiert und in Tabellenform gebracht, und sobald sämtliche Theater für den relevanten Zeitraum (1741-1846, bes. 1770-1825) eingearbeitet sind, wird der Nachweis für eine Inszenierung relativ leicht zu erbringen sein.

 

Präsentationen der Gäste

Den direkten Anknüpfungspunkt zwischen den Projekten der Gäste stellte das Don Juan Archiv Wien-Projekt zur Ariensammlung dar. Neben der Edition der Teutschen Arien, Welche auf dem Kaÿserlich-privilegirt-Wiennerischen Theatro in unterschiedlich producirten Comoedien, deren Titul hier jedesmahl beÿgerucket, gesungen worden und der Erstellung von Kommentaren geht es um die Abfassung einer ausführlichen Einleitung. In dieser kann die Frage nach dem Repertoire des Kärntnerthor-Theaters nicht übergangen werden. Dazu werden im ersten Schritt, wie schon zur Theater-Bibliothek Pálffy, von der Forschung publizierte Spielpläne digitalisiert und in Tabellenform gebracht.

 

Claudia Michels, welche für die Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen des Forschungsschwerpunktes "Musik - Idenität - Raum", Schnittstelle 1740 ebenfalls das bisher in der Forschung Geleistete für den Zeitraum von 1735 bis 1745 sammelt, geht dabei einen Schritt weiter und überprüft die Angaben anhand der Originaldokumente. Ziel sind ein möglichst vollständiger Spielplan der Wiener Spielstätten für höfisches und städtisches Theater sowie die Bereinigung von eventuell in der gängigen Literatur vorhandenen Fehlern und Lücken, um in einem weiteren Schritt die Frage beantworten zu können, welcher Wandel bei den musikalisch-dramatischen Gattungen aufgrund des Generationswechsels am Kaiserhof von Karl VI. zu Maria Theresia festzustellen ist.

 

Die Recherche nach Libretti und Partituren gehört ebenfalls zu diesem Projekt. Obwohl die opern- und theaterhistorische Forschung bereits einiges geleistet hat, ist auf diesem Gebiet doch noch viel Neues zu entdecken. So berichtet Herbert Seifert, der an einer Datensammlung zuletzt vor allem für das Kärntnertor-Theater in der Zeit von ca. 1728 bis 1748 arbeitet und um die Zuordnung von bisher nicht damit in Verbindung gebrachten Partituren und Libretti bemüht ist, dass er für den genannten Zeitraum 138 Opern, die im Kärntnerthor-Theater aufgeführt wurden, nachweisen kann. Das bedeutet, dass pro Jahr rund sieben Opern auf die Bühne gebracht wurden. Seine Quellen waren bisher die grundlegende Arbeit von Robert Haas (1) [zur Fußnote], der Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek, der oben genannte Microfiche-Katalog Libretti in deutschen Bibliotheken und eine Darstellung der Bestände im Meininger Schloss (2) [zur Fußnote]. Außerdem gelang es ihm, die Partitur der ersten Oper von Giovanni Battista Sammartini, Memette, die im Stift Heiligenkreuz erhalten ist, zu ihrer Aufführung im Kärntnertortheater 1732 zuzuordnen.

 

Andrea Sommer-Mathis, die sich derzeit ebenfalls mit der Beziehung zwischen dem höfischen und dem städtischen Theater in Wien in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auseinandersetzt, konnte die bei Haas genannten Libretti in der Österreichischen Nationalbibliothek in Augenschein nehmen, darüber hinaus aber durch weitere in der Wienbibliothek im Rathaus und in der Harvard-Collection German and Austrian Drama befindliche Texte ergänzen. Sie hat auch mit der Schlossbibliothek in Meiningen Kontakt aufgenommen, um über den Verbleib der bei Haas als dort befindlichen Wiener Libretti Aufschluss zu erhalten.

 

Reinhard Strohm, der sich selbst in erster Linie mit den Einflüssen der italienischen Oper auf das Wiener Repertoire beschäftigt, stellte das mittlerweile abgeschlossene Projekt Musical life in Europe 1600-1900. Circulation, Institutions, Representation vor, das 1998-2001 von der European Science Foundation gefördert worden war. Andrea Sommer-Mathis, Herbert Seifert und Reinhard Strohm selbst waren an diesem Projekt im Rahmen der Gruppe Italian Opera in Central Europe, 1614-ca. 1780 aktiv beteiligt (3) [zur Fußnote].

 

Konsens herrschte bei den GesprächsteilnehmerInnen darüber, dass die Zusammenführung der bisher entstandenen Einzelarbeiten, deren kritische Prüfung sowie die Verfügbarmachung der individuell ermittelten Daten in digitaler Form äußerst nützliche Werkzeuge für die zukünftige Forschung bieten.

 

Vor diesem Hintergrund war von Interesse, dass das Don Juan Archiv Wien die Rechte auf die digitale Verarbeitung von Claudio Sartoris Catalogo analitico I libretti italiani a stampa dalle origini al 1800 besitzt. Dass Sartoris Daten in eine Datenbank gebracht wurden, stellt eine große Leistung dar, und sobald diese Datenbank online zugänglich ist, wird dies einen wichtigen Fortschritt für die Libretto-Forschung bedeuten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in diesem Katalog, wie Herbert Seifert anmerkte, in der Regel Libretti nicht aufgenommen wurden, von denen nur ein deutschsprachiges Frontispiz vorhanden ist (das Opernverbot für das Kärntnerthor-Theater führte dazu, dass "unverfängliche" Gattungsbezeichnungen gewählt wurden, obwohl tatsächlich Opern aufgeführt wurden; die Frontispize erwecken daher oft einen falschen Eindruck); außerdem wurden die Bestände in den Wiener Bibliotheken nur lückenhaft erfasst. Diese Daten gilt es durch kontinuierliche koordinierte Recherchen zu ergänzen. Reinhard Strohm machte überdies darauf aufmerksam, dass es sinnvoll wäre, auch die Libretti selbst in die Datenbank aufzunehmen, sei es in Form von Bild- oder Textdateien. Erfreulicherweise hat das Don Juan Archiv Wien bereits mit der Digitalisierung von Libretti begonnen und sich die Erstellung einer umfangreichen Datenbank langfristig zum Ziel gesetzt.

 

In diesem Zusammenhang wurden auch Fragen der Organisation und Finanzierung eines derart komplexen Projektes im Falle einer Kooperation aufgeworfen. Da neben der Arbeitsleistung der beteiligten Personen bereits von den einzelnen Institutionen finanzielle Mittel für die Beschaffung von Scans und Kopien von Manuskripten und Drucken der Libretti und Partituren bereitgestellt wurden, ist die Ausgangsposition für eine zukünftige Kooperation durchaus günstig. Claudia Michels, Andrea Sommer-Mathis und Herbert Seifert werden in nächster Zeit versuchen, ihre Einzelunternehmungen an den Forschungsschwerpunkt "Musik - Idenität - Raum", Schnittstelle 1740 der Österreichischen Akademie der Wissenschaft anzuschließen. Das Don Juan Archiv Wien ermöglicht im Rahmen seiner Öffnungszeiten die Benutzung seiner Bestände vor Ort und wird die Digitalisierung relevanter Texte aus der Ariensammlung weiter vorantreiben.

 

Resümee

Das Forschungsgespräch zeigte, wie sehr sich die Forschungsinteressen der Kommissionen für Musikforschung und für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichische Akademie der Wissenschaften, des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Wien sowie des Don Juan Archivs Wien überschneiden. Eine Kooperation für den Zeitraum 1735 bis 1745 (Schnittstellen) bzw. bis 1760 (Ariensammlung) wurde deshalb angedacht. Um einander über den Projektstand sowie einzelne Forschungsergebnisse auf dem Laufenden zu halten, wurde ein weiteres Forschungsgespräch zum Wiener Repertoire im 18. Jahrhundert in Aussicht genommen.

 

Auch im Zusammenhang mit der Symposien-Reihe zu Ottoman Empire and European Theater machte das Forschungsgespräch deutlich, wie vielfältig die Wirkung des Osmanischen Reiches auf die europäische Opern- und Theatergeschichte war.

 

Abschließend überreichte Michael Hüttler den GesprächsteilnehmerInnen als Gastgeschenk ein Exemplar des Maske und Kothurn-Bandes Lorenzo da Ponte (52/4, 2006).

 

Anmerkungen:

[1] Robert Haas, Die Musik in der Wiener deutschen Stegreifkomödie, in: Studien zur Musikwissenschaft, Beihefte der Denkmäler der Tonkunst in Österreich, Zwölftes Heft, herausgegeben von Guido Adler. 12, 1925-26, S. 3-64. [zurück]

 

[2] Lawrence Bennett, A Little-known Collection of Early-eighteenth-century Vocal Music at Schloss Elisabethenburg, Meiningen, in: Fontes artis musicae 48 (2001). [zurück]

 

[3] Vgl. Italian Opera in Central Europe. Volume 1: Institutions and Ceremonies, hrsg. v. Bucciarelli, Melania / Dubowy, Norbert / Strohm, Reinhard; Volume 2: Italianità, hrsg. v. Herr, Corinna / Sommer-Mathis, Andrea / Seifert, Herbert / Strohm, Reinhard; Volume 3: Opera Subjects and European Relationships, hrsg. v. Dubowy, Norbert / Herr, Corinna / Zórawska-Witkowska, Alina, BWV Berliner Wissenschafts-Verlag: Berlin 2006-2008 (Musical Life in Europe 1600-1900. Circulation, Institutions, Representation). [zurück]

 

 

[Forschungsgespräche]

[Forschungsgespräche 2008]

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Letztes Update: 11.02.2015