Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag
[Max Kalbeck] Bastien und Bastienne - Singspiel in einem Acte Musik von W. A. Mozart
[Max Kalbeck:] Bastien und Bastienne. Singspiel in einem Acte. Mit neuem Text und Dialog von Max Kalbeck. Musik von W. A. Mozart. (Den Bühnen gegenüber Manuscript.) Wallishausser´sche k. u. k. Hofbuchhandlung: Wien, o.J. [ca. 1891] (Don Juan Archiv Wien)
[Georg Richard Kruse] Bastien und Bastienne -  Deutsche Operette in einem Aufzug von Wolfgang Amadeus Mozart
[Georg Richard Kruse:] Bastien und Bastienne. Deutsche Operette in einem Aufzug von Wolfgang Amadeus Mozart. Mit der Dichtung von Friedrich Wilhelm Weiskern und auch in der Neubarbeitung für die Wiener Volksoper von Rainer Simons. Vollständiges Buch, herausgegeben und eingeleitet von Georg Richard Kruse, Leipzig: Philipp Reclam jun., 1906 (Don Juan Archiv Wien)

Bastien und Bastienne - Untersuchungen zur Geschichte des Sujets

 

Wolfgang Amadeus Mozart's (1756-1791) selten gespieltes Jugendwerk, die "teutsche operette" Bastien und Bastienne KV 50 (46b) (komponiert wahrscheinlich 1767/68) wird heute meist als "Kinderoper" gesehen. Ein scheinbar einfacher und naiver Text mit einer relativ simplen Handlung die auf keinerlei wie auch immer gearteten innovativen Hintergrund schließen lässt. Bei genauerer Betrachtung der Entstehungs- und Aufführungsgeschichte lässt sich jedoch die Erkenntnis gewinnen, dass dieses Stück erst im Laufe der Jahre "verkitscht" wurde und nur wenige moderne Aufführungen der Bedeutung des Sujets gerecht werden. Ausgehend von diesem Umstand widmet sich das Forschungsprojekt einer eingehenden theaterwissenschaftlichen Untersuchung der Geschichte des Sujets von dessen erstem Auftreten bis ins zwanzigste Jahrhundert.

 

Die historische Bedeutung des Forschungsgegenstandes erschließt sich bei seiner Rückverfolgung bis zum vermutlichen Ausgangspunkt bei Jean-Jacques Rousseaus (1712-1788) Intermède Le Devin du village im Jahr 1752 (UA 18. 10. 1752, Schloss Fontainebleau). Denn geschrieben wurde das Stück als Statement im französischen Buffonistenstreit (1752-1754) - dort war sie als grundsätzliche künstlerische, musikalische und theatrale Äußerung Rousseaus zur zeitgenössischen Musiktheorie und Opernrezeption von größter Bedeutung.

Die bald darauf folgende Parodie von Rousseaus Werk durch Marie-Justine-Benoîte Favart (1727-1772) und Harny de Guerville ( ?-1788) - Les Amours de Bastien et Bastienne (UA Paris 4.8.1753) - wurde in Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts zu einem "Hit". Kaum ein anderes Stück ist zu jenem Zeitpunkt öfter gespielt worden. Auch die auf den pariser Erfolg folgenden baldigen Verbreitungen des Sujets u. a. nach Wien (1755), Prag (1763) und London (1766) zeugen von dessen großer Popularität.

 

Nach Wien gelangte das Sujet bereits 1755: Les Amours de Bastien et Bastienne wurde am 16. Juni 1755 in Laxenburg bzw. am 5. Juli 1755 am Burgtheater gespielt. Das "Original", Le Devin du village, hatte erst fünf Jahre später, am 26. Juli 1760 im Schönbrunner Schloßtheater Premiere.

Die erste deutschsprachige Variante entstand 1764: Wohl auf Anordnung von Generalspektakeldirektor Graf Giacomo Durazzo (1717-1794) übersetzte 1764 der Schauspieler, Stückeschreiber und Direktor des Kärntnertortheaters in Wien, Friedrich Wilhelm Weiskern (1711-1768), Les Amours de Bastien et Bastienne ins Deutsche. An der Übersetzung wirkte der Schauspieler Johann Heinrich Friedrich Müller (1738-1815) mit. Weiskern/Müller's Bastienne, Eine Französische Operacomique stand ab 5. Mai 1764 auf dem Spielplan des Kärntnertortheaters.

Aus Salzburg stammt eine weitere Variante dieses Sujets - eine undatierte Bearbeitung der Weiskern/Müller'schen Übersetzung durch Johann Andreas Schachtner (1731-1795). Schachtner war Trompeter und wie Leopold Mozart (1719-1787) Mitglied der Salzburger Hofkapelle; die Familien waren auch privat miteinander befreundet. Daher läßt sich vermuten, daß die Bearbeitung des Textes von Leopold veranlaßt wurde; es gibt jedoch keinen Nachweis dafür. Wolfgang Amadeus Mozart hat Schachtners Version teilweise als Textgrundlage für seine "operette" Bastien und Bastienne benützt. Erstaunlich ist dabei dass in Mozarts Autograph die Rezitative offenbar zu späterer Zeit dazugeschrieben wurden. Die Handschrift scheint eine andere zu sein, erste Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass Ignaz Holzbauer (1711-1783) der Schreiber sein könnte. 

Interessanterweise sind gerade von Wolfgang Amadeus Mozart's Singspiel - welches angeblich (und nie zweifelsfrei nachgewiesen) in Wien 1768 im Hause des damals hochpopulären Arztes und Magnetiseurs Franz Anton Mesmer (1734-1815) uraufgeführt wurde - keine einzigen Aufführungsdaten bis 1890 (Berlin, Architektenhaus, 2.10.1890) belegt.

Erst nach der tatsächlich nachgewiesenen Wiener Erstaufführung am 25.12.1891 im K. K. Hofoperntheater, in einer neuen textlichen Fassung von Max Kalbeck, schaffte Mozarts Bastien und Bastienne die Aufnahme ins internationale Repertoire. Ab diesem Zeitpunkt verbreitet sich, beinahe explosionsartig, das Werk in ganz Europa - zwanzig Erstaufführungen in den nächsten zweieinhalb Jahren: Straßburg (10.4.1892), Brünn (14.4.1892), Koburg (13.9.1892), Mannheim (7.10.1892), Leipzig (12.10.1892), Budapest (in Ungarisch, Übersetzer: A. Radó; 20.11.1892), Graz (28.11.1892), Hamburg (29.11.1892), Berlin (5.12.1892), Basel (19.12.1892), Königsberg (25.12.1892); Karlsruhe (5.3.1893), München (12.4.1893), Braunschweig (23.4.1893), Schwerin (17.9.1893), Stockholm (in Schwedisch, Übersetzer: E. Grandinson; 28.9.1893), Weimar (7.1.1894), Mainz (1.2.1894), Hannover (8.3.1894) und London (26.12.1894).

 

Mozarts Singspiel kam in der internationalen Operngeschichte im 20. Jahrhundert ein weiteres Mal eine wichtige Funktion zu. 1939 wurde mit einer Produktion von Bastien und Bastienne am Konservatorium in Ankara unter der Leitung von Carl Ebert (1887-1980) der Grundstein für eine eigenständige Operntradition (nach westlichem Gesichtspunkt) in der Türkei gelegt. Erstmals wurde eine Oper mit den Absolventen des neu gegründeten Konservatoriums selbst produziert, und mit einheimischen Sängern und in türkischer Sprache aufgeführt.

 

Dieses Forschungsvorhaben hat sich zum Ziel gesetzt den wechselvollen Verlauf der Entwicklung des Sujets sowie dessen Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte aufzuarbeiten.


Publikationen zum Thema:

Michael Hüttler: "Zur Frage der Ur- und Erstaufführungen von Mozarts Bastien und Bastienne", in: Herbert Lachmayer (ed.): Mozart. Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Ostfildern: Hatje Cantz, 2006, S. 593-608.

 

Michael Hüttler: "Mozarts Bastien und Bastienne, Überlegungen zur Entstehungsgeschichte", in: Bad Deutsch-Altenburg. Chronik 1999-2001, Bad Deutsch-Altenburg: Hollitzer, 2001, S.183-192.

 

Projektbetreuer und Webseitentext: Michael Hüttler

 

 

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Letztes Update: 05.12.2011