Die Library of Congress in Washington verwahrt eine der bedeutendsten Sammlungen von Libretti (Operntexten). Ihr zentraler Bestand ist die Sammlung des Rostocker Kaufmanns Albert Schatz (1839-1910). Er hatte über 40 Jahre Operntexte zusammengetragen, nach Möglichkeit jeweils die Drucke der Ur- bzw. Erstaufführungen, und seine Erwebungen in einem handschriftlichen "Hand-Katalog" eingetragen. Schatz trennte sich noch zu Lebzeiten von seiner Sammlung; sie gelangte 1908 durch Kauf in den Besitz der Library of Congress; ihr folgte der reiche Bestand an Manuskripten des Sammlers (1911), anhand derer Schatz an der Erfassung eines Opernrepertoires gearbeitet hatte.
Oscar Sonneck's Catalogue of Opera Librettos
Gemeinsam mit dem "Hand-Katalog" diente die Sammlung von Albert Schatz als Grundlage des 1913 gedruckten zweibändigen Katalogs von Oscar George Theodore Sonneck (1873-1928):
Library of Congress Catalogue of Opera Librettos Printed Before 1800. Prepared by Oscar George Theodore Sonneck. Chief of the Division of Music. Washington, D. C.: Government Printing Office, 1914. vol. 2 [Nachdruck der Ausgabe: New York: Burt Franklin, Bibliography & Reference Series # 110, 1967].
Der Musikwissenschaftler Sonneck war von 1902-1917 Leiter der Musikabteilung der Library of Congress. Sein Catalogue erschließt den Bestand der Schatz-Collection und der Bibliothek bis zum Jahr 1800. Die Schatz-Einträge (gekennzeichnet durch die Signatur "SCHATZ + Nr.") enthalten oft Kommentare zu den Drucken. Jene übernimmt Sonneck von Schatz, aktualisiert oder ergänzt aber ihm wichtig erscheinende Fakten. Manche Kommentare wuchsen so zu kleinen Artikeln an. Es muß aber betont werden, daß die Schatz-Collection den Ordnungskriterien Sonnecks unterworfen wurde. (Sonneck I, p. 10-11). Die bibliographischen Beschreibungen von Schatz waren Sonneck zu minimal und sein System von Abkürzungen nicht passend für eine amerikanische Publikation. Außerdem katalogisierte Schatz seine Einträge komponistenalphabetisch ohne Titel- und Autorenindex. Das Größerwerden der Sammlung brachte mit sich, daß sich Fehler, wie mehrmals begonnene Alphabetsordnungen einschlichen.
Band I (Title Catalogue, p. 1-19; 21-1172):
Er ist titelalphabetisch unter Außerachtlassung des Artikels geordnet. Nach dem fettgedruckten Namen der Oper (Alternativnamen in normaler Schrift) ist Gattung des Werks, Theater, Saison oder Datum und Jahr genannt (fallweise Textdichter und Komponist), wie es auf den jeweiligen Frontispizen zu finden ist. Anlässe und Titulierungen von Personen sind in der Regel nicht wiedergegeben und mit Auslassungsvermerk [...] gekennzeichnet. Titelvarianten lassen sich stets mit den quer verweisenden Abkürzungen A.T. (Alternative Title), L.T. (Later Title), Tr.T. oder Tr. (Translated Title) und O.T. (Original Title) suchen. Bei Werken gleichen Titels folgen den Drucken, in denen der Komponist genannt ist, jene mit unbekannten Komponisten. Kursiv werden Druckort, Drucker, Jahr, die Seitenzahl und das Format in cm angegeben. Druckort und Jahr sollen laut Sonneck als identisch mit Ort und Jahr der Aufführung angenommen werden, es sei denn, der Kommentar verrät anderes. Schatz nimmt prinzipiell den Tag der Widmung eines Werkes als erste Aufführung an, wenn ihm keine früheren Aufführungen der Oper in derselben Stadt bekannt waren. Die Scheda wird abgeschlossen durch den Kommentar in kleinerer Schriftgröße, der von Auskunft über die technischen Seiten des Druckes und Textdichter/Komponist bis zu erklärenden Verweisen zu anderen Versionen des Stoffes/Textes und ganzen Zitaten reichen kann. Der Kommentar informiert auch über Titel und Choreographen/Komponisten der in den Drucken erwähnten Ballette. Eingerückt rechts findet sich die Signatur des Druckes. Signaturen, die mit "ML" beginnen, gehören zum "Urbestand" der Library. "LONGE + Nr." steht für die Francis Longe Collection die zwar seit 1908 Teil der Library of Congress war, allerdings sich aus administrativen Gründen (Sonneck, p. 18) nicht in deren Obhut befand.
Band II
Er enthält drei Indices:
Author List (p. 1173-1436): Dieser Index ist alphabetisch nach Textverfassern geordnet. Nach dem Namen folgt/folgen der/die Werktitel mit Druckort, Jahr, Komponist, Schatz-Nummer oder Signatur der Library bzw. Longe Collection.
Composer List (p. 1437-1638): Dieser Index ist alphabetisch nach Komponisten geordnet und ist analog zum Autoren-Index angelegt. Lediglich der Vermerk, wenn es sich um eine Gemeinschaftskomposition handelt, kommt hier noch dazu.
Aria Index (p. 1639-1674): Zum Eingang der 'Arias incidentally mentioned' steht folgende Erklärung: It is advisible to refer back to the Title Catalogue in every instance, since the composer's name added to an aria in this Index by no means always signifies that the aria was composed by him. (Sonneck II, p. 1641). Nach den alphabetisch geordneten Arien-Incipits folgt jeweils meist die Nennung des Komponisten (bzw. Pasticcio), meist mit Lebensdaten. Selten wird statt dem Komponisten der Textdichter (stets ohne Lebensdaten) genannt, ganz selten statt Komponist und Textdichter die Rolle. Dann steht der Werktitel. Nur sporadisch ist dieser mit einem Jahresvermerk versehen. Zur Auswahl der Arien schreibt Sonneck, daß ein komplettes "Aria-Repertorium" im Rahmen dieses Katalogs schon allein aus Zeitgründen undenkbar ist. Somit suchte Sonneck 'in the briefest manner possible textual distinctions between at least the original edition, if we had it, and editions used for replicas' aufzulisten (Sonneck I, p. 15). Somit gibt er Hinweise, wenn eine Arie in einer anderen Oper vorkommt. Auch wird, wenn erklärungsbedürftig, die Textversion, aus der eine Arie stammt, angegeben oder eine übersetzte Fassung angegeben.
Sonneck hat die Einträge im Catalogue nicht nummeriert. Er spricht in seinem Vorwort von einem Librettobestand der Library of Congress von ca. 17.000 Stück, der aber auch die Libretti des 19. Jahrhunderts, die im Catalogue nicht berücksichtigt werden, miteinschließt.
Sonneck konnte seinen Plan, den Gesamtbestand der Bibliothek (mit den Librettobeständen nach 1800) zu katalogisieren, nicht verwirklichen. Textdichter und Komponisten, die sowohl im 18. wie im 19. Jahrhundert Werke schufen, sind somit nicht vollständig vertreten. Mehr als 60% des Materials von Schatz blieb unaufgearbeitet (Supplemental Catalogue). Dennoch ist Sonnecks Catalogue durch seine reichen Anmerkungen bis heute in der Opernforschung unerlässlich.
Die Albert Schatz-Collection der Libretti
Die Sammlung Schatz enthält insgesamt 12 238 Librettodrucke. Davon entfallen 12 000 (Sonneck I, p. 8) auf Operntexte, die verbleibenden 238 (1,98 %) auf Texte für Oratorien bzw. Kantaten. Die beiden ältesten Drucke stammen aus dem Jahr 1600 in Florenz: Ottavio Rinuccinis La Dafne und Giulio Caccinis Il Rapimento di Cefalo, beide gedruckt bei Giorgio Marescotti. Die beiden jüngsten Drucke datieren von 1906: Die Oper Marienburg von Albert Sergel nach Axel Delmars mit Musik von Eugène Volborth (Rostock, Volckmann & Wette) und das Musikalische Lustspiel Das süße Gift von Martin Frehsee mit Musik von Albert Gorter. Die Inhalte der Sammlung sind im folgenden Artikel eingehend beschrieben (siehe auch Manuskripte):
Mark Evan Bonds: The Albert Schatz Opera Collections at the Library of Congress: A Guide and a Supplemental Catalogue. in: Notes. Quarterly Journal of the Music Library Association, June 1988, vol. 44, nr. 4, p. 655-695.
Bonds sah darin eine Vorarbeit zu einer kompletten Katalogisierung des Materials. Solange es einer solchen mangelte, wäre eine statistische Auswertung der Libretti nach Sprachen, Druckortem o.ä. praktisch unmöglich. Dabei sammelte Schatz die Libretti nicht jeder Sprache mit gleicher Konsequenz. Daß ein Schwerpunkt auf den italienischen, deutschen und englischen Textbüchern liegt, läßt sich bei regelmäßiger Benützung des Katalogs unschwer herausfiltern. Sonneck bemerkt, daß Schatz deutsche Übersetzungen französischen Original-Libretti vorzog. Vernachlässigt wurden auch russische, tschechische, ungarische, spanische und portugiesische Originaltexte, sowie skandinavische Libretti (Sonneck I, p. 9).
Die Sammlung leistet wertvolle Hilfe bei allen Forschungsprojekten des Don Juan Archivs, die sich mit dem europäischen Opernrepertoire des 17. und 18. Jahrhunderts befassen.
In viele der im Catalogo Sartori (der stets die Sonneck-Nummer angibt) aufgelisteten italienischen Drucke kann mittels der Schatz-Collection im Archiv Einsicht genommen werden. Ebenso verhält es sich mit dem Microfiche-Exemplar der Libretti in deutschen Bibliotheken.
Das Photoduplication Service der Library of Congress hat die Libretto-Collection in den frühen 1970er Jahr auf Mikrofilm (244 Rollen) herausgegeben. Das Don Juan Archiv besitzt ein Exemplar dieser Verfilmung.
Von den Schatz-Libretti wurden 11387 Stück (bis dahin reichen die Einträge von Albert Schatz) von der University of Virginia als Teil des US RISM Libretto Projekts (1983-1992) katalogisiert. Die Library of Congress erhielt diesen Katalog und inkludierte ihn in den bibliothekseigenen Music Catalog, welcher 1994 auf CD-Rom erschien, mittlerweile aber vergriffen ist. Aus "various reasons" wurde dieser Music Catalog laut jüngst eingeholten Erkundigungen nie in den Online-Catalogue der Library integriert.