V. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs
Serbien: Zwischen Habsburger Monarchie und Osmanischem Reich
Ort: Don Juan Archiv Wien
25. August 2009, 15 bis 18 Uhr
Bericht: Ana Mitić und Matthias J. Pernerstorfer
Im Rahmen eines Projektes zum Opern- und Theaterrepertoire in Zentraleuropa arbeitet das Don Juan Archiv Wien an einer kommentierten Aufstellung sämtlicher bedeutender Archive, Bibliotheken, Museen und Forschungsinstitutionen in den zentraleuropäischen Ländern. Zudem werden mit Personen und Institutionen vor Ort Kontakte geknüpft, um die Basis für eine künftige Zusammenarbeit zu schaffen. Die Opern- und Theatergeschichte Serbiens – zwischen Habsburger Monarchie und Osmanischem Reich – stand im Zentrum des 5. Forschungsgespräches. Zu Gast waren die Musikwissenschaftlerin Tatjana Marković (Belgrad) und der Historiker Erdem Kabadayı (Istanbul). Einen weiteren Diskussionsbeitrag lieferte Ana Mitić, die für das Don Juan Archiv Wien die forschungsrelevanten Institutionen in Ex-Yugoslawien bearbeitet. Zudem nahmen Michael Hüttler, Matthias J. Pernerstorfer, Johannes Schweizer und Suna Suner (alle Don Juan Archiv Wien) an diesem Forschungsgespräch teil.
I. Oper und nationale Identität
T. Marković von der Kunstuniversität Belgrad, derzeit auch am Institut für Musikwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz tätig, eröffnete die Runde. Sie präsentierte ihr Projekt „The Role of the Opera in Constructing National Identity“, das vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Lise-Meitner-Programms gefördert wird. Die Bildung der nationalen Identität war bei den südslawischen Völkern stark mit der Entwicklung des nationalen Kulturbewussteins verbunden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden in den von Serben und Kroaten besiedelten Gebieten der Habsburger Monarchie Kulturinstitutionen wie Theater, Lesehallen, Gesangsvereine, welche zur Förderung der nationalen Kultur dienten.
Die Entwicklungen verliefen bei den südslawischen Völkern meist parallel, es gab allerdings auch Unterschiede und zeitliche Verschiebungen. So wurde 1846 die erste Oper in Kroatien aufgeführt (Vatroslav Lisinski: Ljubav i zloba / Liebe und Gefahr) und 1870 im „Hrvatsko narodno kazalište“ (‚Kroatisches Nationaltheater‘) eine Oper eingerichtet, wohingegen die erste Opernaufführung in Serbien im Jahre 1904 stattfand (Stanislav Binički: Na Uranku / Bei Dämmerung) und erst 1920 die Belgrader Oper im „Narodno pozorište“ (‚Nationaltheater‘) etabliert wurde.
Um auf die verschiedenen Arten von Quellen hinzuweisen, die Licht auf das serbische und kroatische Theaterleben vor der Entstehung der großen Institutionen werfen, präsentierte T. Marković mehrere Quellen. Darunter war ein Programmzettel der Versammlung der Ujedinjena omladina srpska (UOS; „Die vereinigte serbische Jugend“), einer der bedeutendsten politisch und kulturell engagierten Organisationen, (1) [zur Fußnote] in Vršac/Werschatz 1871. Das damalige Rahmenprogramm bildete u.a. die Aufführung des Stückes Maksim Crnojević des bedeutenden serbischen Schriftstellers Laza Kostić (Kovilj 1841-1910 Wien), einem der Gründer der UOS. Zudem zeigte T. Marković Dokumente, die von der Anstellung Josef Schlesingers (Sombor/Zombor 1794-1870 Belgrad) am Hof des Fürsten Miloš Obrenović (Srednja Dobrinja 1780-1860 Belgrad; reg. 1815-1839 und 1858-1860) in Serbien (von 1815 bis 1867 ein Vasallenfürstentum des Osmanischen Reiches) und seinem „Knjaževsko-srbski teatar“ (‚Fürstlich-serbisches Theater‘) zeugen. Schlesinger, aus einer jüdischen Familie aus Sombor/Zombor stammend, wurde zum Kapellmeister des Fürsten ernannt.
T. Marković betonte in weiterer Folge die Bedeutung der zahlreichen Gesangsvereine („pevačka društva“), für die Bildung der nationalen Identität. Diese lag nicht zuletzt darin, dass sich im Rahmen der genannten Vereine vielfach Amateur-Theatergesellschaften bildeten. Die serbischen Gesangsvereine wurden fast ausschließlich auf dem Gebiet der Habsburger Monarchie gegründet.
In der Pause führte der Archivar J. Schweitzer durch die Räumlichkeiten des Archivs.
II. Joakim Vujić und die Entstehung des serbischen Theaters
A. Mitić stellte ihre Diplomarbeit mit dem Titel Joakim Vujić und die Entstehung des serbischen Theaters (Wien 2008) (2) [zur Fußnote] vor. Die Formierung einer einheitlichen nationalen und kulturellen Identität der Serben war infolge der kulturellen Teilung des serbischen Volkes ein schwieriger Prozess. Ein Teil der Serben siedelte in Südungarn, der andere Teil das „Paschaluk Belgrad“ (‚Fürstentum Belgrad‘) im Osmanischen Reich. Die kulturellen Diskrepanzen zwischen den Serben im „ungarischen“ bzw. „habsburgischen“ und im „osmanischen“ Teil des Landes beeinflussten die Bildung der nationalen Identität entscheidend.
Für die Etablierung der Theaterkultur in Serbien war die Tätigkeit von Joakim Vujić (Baja/Frankenstadt 1772-1847 Belgrad) von großer Bedeutung. Vujić war als Übersetzer dramatischer Werke, Regisseur, Organisator, Darsteller und Theaterdirektor tätig. Unter seiner Regie fand 1813 in Pest die erste öffentliche Theateraufführung in serbischer Sprache statt. Gespielt wurde in Vujićs Übersetzung das populäre Stück August von Kotzebues (Weimar 1761-1819 Mannheim) Der Papagoy unter dem Titel Kreštalica. [3] [zur Fußnote] 1834 wurde Vujić zum Theaterdirektor des ersten serbischen Theaters in Kragujevac, der damaligen Hauptstadt des Vasallenfürstentums Serbien, ernannt; es handelt sich um das bereits genannte „Knjaževsko-srbski teatar“ (‚Fürstlich-serbische Theater‘, 1834-1836).
III. Theater im osmanisch besetzten Serbien?
Zur Frage, ob es im osmanischen Teil Serbiens während der osmanischen Herrschaft Opern- und Theateraufführungen gab, wies S. Suner auf ein Gastspiel der „Kuntzischen Gesellschaft“ (Unternehmer: Johann Christian Kun(t)z, Frankfurt a. M. 1758-? (4) [zur Fußnote]) hin, das in Belgrad zur Zeit der österreichischen Herrschaft während des letzten Krieges zwischen der Habsburger Monarchie und dem Osmanischen Reich stattfand (5) [zur Fußnote]. Die entsprechende Stelle im Gothaischen Theater=Kalender, auf das Jahr 1792 lautet:
„Vorigen Sommer spielte ich mit meiner Gesellschaft einige Monath in der so bekannten türkischen Festung Belgrad. Man richtete mir die neugebaute türkische Moschee in der Raizen Stadt gelegen zum Theater ein“ (ebd., S. 287).
Die historische Bedeutung des Gastspiels hebt der Impresario eigens hervor:
„Da nun jetzo eben besagtes Belgrad wieder vermög Friedensschluß an die Türken abgegeben wird, so glaubte ich, wäre es der Mühe werth, im Theater=Kalender anzuzeigen, daß während der Zeit, als Belgrad in den Händen des Kaysers war, auch die Kuntzische Gesellschaft daselbst gespielt hat“ (ebd., S. 288). (6) [zur Fußnote]
Die Erforschung vergleichbarer Aktivitäten ist aufgrund der Archivstruktur in Serbien, wie T. Marković betonte, schwierig, da es keine zentrale Stelle gibt, worin die Dokumente gesammelt vorliegen, und auch die Aufarbeitung der – vielfach privaten – Archive noch nicht weit genug fortgeschritten ist. A. Mitić steuerte ihre Erfahrung bei der Arbeit in den Archiven und Bibliotheken bei, S. Suner und E. Kabadayı ergänzten das Bild durch Ausführungen über die Situation in der Türkei.
Ausklang
Der Historiker E. Kabadayı (Bilgi Universität Istanbul) präsentierte abschließend sein Projekt zum Palais Yeniköy, den Sitz des österreichischen Kulturforums in Istanbul, wo die Istanbuler Symposien des Don Juan Archivs Wien zu Ottoman Empire and European Theatre stattfinden. Der Bau des Palais, ursprünglich im Eigentum des armenischen Bankiers Cezayirlioğlu Mıgırdıç (Istanbul 1805-1861 Istanbul), wurde aufgrund der Inhaftierung des Bauherrn im Jahre 1852 und dessen Enteignung zwei Jahre später nicht vollendet. 1882 wurde das Gebäude – in seinem unfertigen Zustand – von Sultan Abdülhamid II. (Istanbul 1842-1918 Istanbul, reg. 1876-1909) an Kaiser Franz Joseph I. von Österreich (Wien-Schönbrunn 1830-1916 Wien-Schönbrunn, reg. 1848-1916) geschenkt. Seit der Fertigstellung dient es als Residenz der österreichischen Botschaft. Die Gespräche wurden beim Abendessen im gemütlichen Ambiente des „Glacis Beisl“ im Wiener Museumsquartier fortgesetzt.
Von 15. bis 18. September findet eine Forschungsreise des Don Juan Archivs Wien nach Novi Sad und Belgrad statt, an der neben T. Marković auch M. Hüttler und M. J. Pernerstorfer teilnehmen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Tatjana Marković, Political, cultural, artistic activities of the “Ujedinjena omladina srpska” as a case of networking. Auf www.kakanien.ac.at/beitr/ncs/TMarkovic1.pdf [2009-09-01] und dies., Transfiguracije srpskog romantizma – muzika u kontekstu szrudija kulture [Transfigurationen serbischer Romantizismen – Musik im Kontext der Cultural Studies]. Univerzitet umetnosti u Beogradu: Belgrad, 2005. [zurück]
[2] Siehe othes.univie.ac.at/2206/ [2009-09-01]. [zurück]
[3] Die Rezeption des Werks von August von Kotzebue im südslawischen Raum sowie sein Einfluss auf die Entstehung der einzelnen Nationaltheater ist das Thema des Dissertationsprojekts von A. Mitić. [zurück]
[4] E. Pies, der den Theater=Kalender, auf das Jahr 1792 nicht zitiert, schreibt: „Ein Herr Kunz war noch 1822 Theaterleiter in Zagreb.“ (Prinzipale. Zur Genealogie des deutschsprachigen Berufstheaters vom 17. bis 19. Jahrhundert, Aloys Henn Verlag: Ratingen-Kastellaun-Düsseldorf 1973, S. 211). [zurück]
[5] Siehe dazu S. Suner, The Earliest Opera Performances in the Ottoman World and the Role of Diplomacy, in: M. Hüttler u. H. E. Weidinger (Hgg.), Ottoman Empire and European Theater. Vol. I. Sultan Selim III and Mozart (1756-1808), Lit Verlag u. Don Juan Archiv Wien Forschungsverlag: Wien (im Druck). [zurück]
[6] Zur Nutzung einer ehemaligen Moschee in Pest durch die Truppe von Josef Hasenhut (Wien * – ca. 1786 Wien) siehe auch die anekdotenhafte Schilderung in der Biographie des Schauspielers Anton Hasenhut. In der Gestalt des Originals: „Wien 1834. Gedruckt bey Franz Ludwig“ herausgegeben mit Nachwort und erläuternden Anmerkungen von Michael Maria Rabenlechner. Wien: Wiener Bibliophilen-Gesellschaft 1941, S. 61-67. Als Beispiel für die Nutzung von Kirchen aufgelassener Klöster als Theater zur Zeit Josephs II. seien die Klöster der Cölestiner in Steyr und der Dominikaner in Krems genannt. [zurück]