Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag

XVIII. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs

Zur musik-dramatischen Unterhaltungskultur des Adels im 17. und 18. Jahrhundert

in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft an der Masaryk-Universität, Brünn

 

Bericht: Matthias J. Pernerstorfer

 

Am 28. Oktober 2014 fand das „18. Forschungsgespräch im Don Juan Archiv Wien“ statt. Die in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft an der Masaryk-Universität in Brünn organisierte Veranstaltung war schwerpunktmäßig der musik-dramatischen Unterhaltungskultur des Adels im 17. und 18. Jahrhundert gewidmet und konnte sich – wie schon die beiden vorangegangenen Workshops in Brünn (17.9.2013 und 4.2.2014) – eines regen Publikumsinteresses freuen.

Den Anfang machte eine Führung durch die Räumlichkeiten der Trautsongasse 6/6 (1080 Wien), in denen neben dem Don Juan Archiv weitere zwei Abteilungen der Firmengruppe Hollitzer beheimatet sind, Hollitzer Verlag und Stvdivm Fæsvlanvm. Matthias J. Pernerstorfer stellte das Bildprogramm vor, in dem sich biographische Elemente und wissenschaftliche Interessen des Firmeneigentümers und Institutsgründers Hans Ernst Weidinger widerspiegeln. Es reicht einerseits vom Castello di Sezzate über Fiesole und die dortige Villa Medici bis zum Neugebäude, andererseits deckt es mit Don Juan de Austria und Don Juan Tenorio sowie zahlreichen historischen Bildern von Theatern den Kern der Sammlungs- und Forschungstätigkeit des Don Juan Archivs ab.

Zudem präsentierte Pernerstorfer anhand der Archivbestände zwei für Theater- und Musikgeschichte relevante Großprojekte des Don Juan Archivs: Die Arbeiten zur „Sammlung Reinhart Meyer“ und das damit in Zusammenhang stehende Folgeprojekt zu dessen Bibliographia Dramatica et Dramaticorum, bei dem es um die bislang umfassendste Quellendokumentation zur Theatergeschichte im Heiligen Römischen Reich des 18. Jahrhunderts geht, sowie den aktuell gemeinsam mit Paul S. Ulrich durchgeführten Aufbau eines digitalen Archivs zur Theaterpublizistik von 1750 bis 1918.

Matthias Mansky berichtete über das von Stefan Hulfeld am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien von 2011 bis 2014 geleitete FWF-Projekt „Staatsaktionen zwischen Repräsentation und Parodie“, bei dem ein ca. 1.200 Seiten umfangreicher Kodex der Wienbibliothek im Rathaus (Ia 38589) aus dem 17. Jahrhundert ediert, kommentiert und analysiert wird. Er ging dabei auch auf die Frage des Kulturtransfers bei Übersetzung und Adaption für das jeweilige Publikum ein, das in einer anderen sozialen Lachkultur stehend die Stücke aufnahm.

Eva-Maria Hanser, ebenfalls an diesem Projekt beteiligt, kontextualisierte die Theaterpraxis der Zeit vor den Ordnungsinstanzen Kirche – Staat – Stadt. Welche Rolle in diesem strukturellen Modell der Adel spielte, wurde anhand des Tagebuchs Herzog Ferdinand Albrechts I zu Braunschweig und Lüneburg erläutert und in der Diskussion weiter behandelt.

Daniela Franke, Alexandra Steiner-Strauss und Rudi Risatti, Mitarbeiter des Theatermuseums in Wien, stellten das Konzept für eine Ausstellung zum Theater der Barockzeit vor, die von März 2016 bis Februar 2017 im Palais Lobkowitz zu sehen sein wird. Diese Ausstellung ist Teil einer größeren Initiative zum höfischen Fest auch in anderen zum Kunsthistorischen Museum gehörigen Institutionen; sie soll von Opernaufführungen, etwa im Theater an der Wien, begleitet werden.

Aus Sicht der Forschung bietet diese Ausstellung die Chance, ein größeres Publikum zu erreichen, als es durch rein akademische Veranstaltungen der Fall ist; ein umfassender Begleitband, zu dem u. a. Andrea Sommer-Mathis, Herbert Seifert und Reinhard Strohm Beiträge verfassen, ist in Vorbereitung. Es darf ein kräftiger Impuls für die Wissenschaft erhofft werden, zumal im Zuge der Vorarbeiten der umfangreiche Barockbestand des Museums (1.000 Handzeichnungen, 800 Druckgrafiken und mehr als 500 Bücher) erfasst werden und künftig der Forschung zur Verfügung stehen soll. Ob ein Katalog dazu finanziert werden kann, ist bislang nicht geklärt, Interesse daran wurde von mehreren Teilnehmern bekundet.

Der Landschaftsplaner und Gartenhistoriker Christian Hlavac zeichnete die Entwicklung der Gartenkunst vom manieristischen (italienischen) über den formal-architektonischen (französischen) zum landschaftlichen (englischen) Garten nach; er betonte für Wien die Bedeutung der Zweiten Türkenbelagerung und die darauf folgende Konsolidierung der politischen Situation, die zum Entstehen eines Gartengürtels auf den davor unbebauten Flächen zwischen Wien und den umliegenden Orten führte. Heckentheater entstanden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, doch sind heute nur mehr ganz wenige erhalten, und selbst bei diesen ist fraglich, ob ihr heutiges Aussehen dem Originalzustand entspricht. In den Landschaftsgärten, die ab den 1770er Jahren Mode wurden, spielten sie kaum eine Rolle, doch wies Hlavac aus der Zeit um 1800 auf das Theater von Charles-Joseph de Ligne am Kahlenberg und die Gärten des Hoftheatervizedirektors, Freiherrn Peter von Braun, Am Himmel und in Schönau („Grotte zum Tempel der Nacht“) hin.

Nach der Mittagspause standen Vorträge von Jana Perutková, Jana Spáčilová und Vladimír Maňas vom Institut für Musikwissenschaft der Masaryk-Universität Brünn auf dem Programm. Perutková sprach über kunstliebende mährische Adelige, ihre Musik- und Theaterpflege in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Anlässe, zu denen die Produktionen realisiert wurden. Mit Blick auf die Musikpflege unterschied sie drei Gruppen des allgemein sehr homogenen mährischen Adels: 1. jene, die als Zuhörer und Mitwirkende an Vorstellungen teilnahmen, 2. jene mit eigener Musik-Kapelle und 3. jene, die über längere Zeit Opern und Oratorien aufführten. Neufunde zeigen, dass sich Liste der zur zweiten Gruppe gehörigen Adeligen länger ist, als die Forschung bisher angenommen hat – verwiesen sei auf Johann Matthias von Thurn und Valsassina sowie Carl Joseph Freiherr von Souches.

Vladimír Maňas konnte durch akribische bibliographische Forschungen für Oberschlesien eine Reihe von Adeligen nachweisen, die für die Theatergeschichte von Bedeutung sind. Vor allem anhand zahlreicher, bislang teilweise unbekannter Libretti ließ sich der Kenntnisstand deutlich erhöhen; exemplarisch genannt seien Rudolf de Gaschin in Hultschin (Hlučín) und die Grafen von Oppersdorf in Oberglogau (Horní Hlohov), Hoditz in Rosswald (Slezské Rudoltice) und Neffzern in Graetz (Hradec nad Moravicí).

Jana Spáčilová widmete sich den Schlosstheatern in Kroměříž (Kremsier) und Holešov (Holleschau) sowie der Frage nach deren Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Die große Zeit des Musiktheaters in Kroměříž fällt unter Wolfgang Hannibal Graf von Schrattenbach. Dieser war 1719 bis 1721 Vizekönig von Neapel, hielt bereits dort eine große Kapelle und brachte im Anschluss in Kroměříž, wo er während der Sommermonate regelmäßig weilte, zahlreiche Opern – teilweise mit italienischen Kastraten – zur Aufführung. 1752, einige Jahre nach Schrattenbachs Tod, wurde das Schlosstheater demoliert, doch findet sich in der Verlassenschaft des nachmaligen Eigentümers, Anton Theodor Grafen von Colloredo-Wallersee († 1811), ein Theaterinventar, das auf Aufführungen hinweist, nicht jedoch der opera seria, sondern des aktuellen Repertoires. Zu Holešov spannte Spáčilová einen Bogen von Franz Anton Grafen von Rottal, der sowohl ein Schloss- als auch ein Gartentheater hatte, bis zu Rudolf Eugen Grafen von Wrbna-Freudenthal.

 

Den festlichen Abschluss bildete die Präsentation des zweiten Bandes der Reihe Summa Summarum des Don Juan Archivs: Herbert Seifert, Texte zur Musikdramatik im 17. und 18. Jahrhundert. Aufsätze und Vorträge, herausgegeben von Matthias J. Pernerstorfer. Erschienen ist die umfangreiche, mit zahlreichen Illustrationen, Notenbeispielen und Grafiken ausgestattete Publikation (XVI + 1072 S.) im Hollitzer Wissenschaftsverlag. In dem Band sind insgesamt 72 Texte enthalten, darunter zehn unpublizierte Vorträge des Wiener Musikwissenschaftlers. Bei Wasser, Wein und Brot fand das Forschungsgespräch seinen Abschluss.

 

 

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Letztes Update: 19.02.2015