Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag

III. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs

Der 30jährige ABC-Schütz

Ort: Don Juan Archiv Wien

16. April 2009, 14 bis 17 Uhr

 

Bericht: Matthias J. Pernerstorfer

 

Anders als die ersten beiden Forschungsgespräche, die allgemeinen Themen - dem Wiener Repertoire im 18. Jahrhundert sowie Editionen dramatischer Texte des 18. Jahrhunderts - gewidmet waren, fand das dritte Forschungsgespräch im Zeichen des konkreten Projekts zum 30jährigen ABC-Schütz statt. Bearbeitungen dieses Stückes, etwa von Johann Joseph Felix von Kurz und Carl Friedrich Hensler, wurden als Comoedie, (moralisches) Lustspiel, Posse mit Gesang oder auch als "Forcestück" bezeichnet und von ca. 1750 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mit großem Erfolg aufgeführt. Mehrere Manuskripte und Drucke, eine Partitur incl. Soufflierbuch sowie eine Reihe von Theaterzetteln und zeitgenössischen Kommentaren haben sich erhalten und sollen nun im Rahmen eines international angelegten Projektes ediert und kommentiert werden.

 

Für die Edition ist Matthias J. Pernerstorfer (Don Juan Archiv Wien) verantwortlich, den Stellenkommentar übernimmt Andrea Brandner-Kapfer (Germanistik, Graz). Zusätzlich sollen verschiedene Aspekte zur Interpretations- und Aufführungsgeschichte in Form von Beiträgen behandelt werden. Beatrix Müller-Kampel (Germanistik, Graz) untersucht Formen des Komischen in der Version des Johann Joseph Felix von Kurz (Wien 1717-1784 Wien), Johann Hüttner (Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Wien) widmet sich der Thaddädl-Komik und damit der Version von Carl Friedrich Hensler (Vaihingen a.d. Enz [Schwaben, D] 1759-1825 Wien). Alena Jakubcová (Theaterinstitut Prag) zeigt die Rezeption des Stückes - in deutscher und tschechischer Sprache - in Böhmen und Mähren auf, und Julia Danielczyk (Wienbibliothek im Rathaus) behandelt die Aufführung des 30jährigen ABC-Schütz im Rahmen der Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen (Wien 1892).

 

Als weitere MitabeiterInnen an diesem Band, der von Johann Lehner verlegt wird, sind derzeit Annemarie Bönsch (Hochschule für angewandte Kunst, Wien), Johanna Borek (Romanistik, Wien), Hilde Haider-Pregler und Ulf Birbaumer (beide Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Wien), Johann Sonnleitner (Germanistik, Wien) sowie Dagmar Zumbusch-Beisteiner (Internationale Nestroy-Gesellschaft) im Gespräch.

 

Komik

 

Nach der Begrüßung der Gäste durch Michael Hüttler (Don Juan Archiv Wien) stellte B. Müller-Kampel die Formen des Komischen in den Versionen des 30jährigen ABC-Schütz zur Diskussion. Den Ausgangspunkt bildete die provokant gestellte Frage: "Warum ist Bernardon so komisch, und warum ist Thaddädl so fad?" Die davon ausgehenden Überlegungen führten vor Augen, dass traditionelle Komiktheorien kein vollständiges System von Analysekriterien für derlei Fragen an die Hand geben. Zudem ist es, worauf H. Haider-Pregler hinwies, ohne genaue Kenntnis des Publikums und seines Rezeptionshorizonts nicht möglich, Formen des Komischen einander objektiv gegenüberzustellen. Die von Anton Hasenhut (Peterwardein [Novi Sad, SRB] 1766-1841 Wien) etablierte Thaddädl-Komik würde heutzutage vielleicht nicht mehr den allgemeinen Publikumsgeschmack treffen (selbst darüber ließe sich streiten, wie J. Hüttner feststellte), doch zeigt die Rezeption des Stückes im 19. Jahrhundert, dass die Rolle des 30jährigen ABC-Schützen für diverse Schauspieler - u. a. Ignaz Tomaselli (Wien 1812-1862 Josefstadt, heute Wien VIII), Johann Nestroy (Wien 1801-1862 Graz) und Ludwig Gottsleben (Wien 1836-1911 Wien) - die Möglichkeit zu großen Erfolgen bot.

 

Prag

 

A. Jakubcová berichtete über Aufführungen des 30jährigen ABC-Schütz in Prag und eröffnete den Blick auf den kulturellen Austausch zwischen Wien und Prag. So spielte die Schauspielergesellschaft des Vaterländischen Theaters unter der Leitung von Wenzel Mihule (Prag 1758-nach 1807) die Stücke meist zuerst in deutscher und danach in tschechischer Sprache. Die früheste bekannte tschechische Aufführung des 30jährigen ABC-Schütz in Prag fand am 11. November 1792 statt. Eine Aufführung von Henslers Version im hochfürstlichen Hoftheater zu Töplitz (1801) belegt ein Theaterzettel, auf dem als Kommentar zu lesen ist: "Eine sowohl in Prag als auch in Wien stets mit dem lautesten Beifall aufgenommene äußerst komische Oper". Ausführlich behandelte A. Jakubcová das Gastspiel Anton Hasenhuts im Ständetheater in Prag (1806) , in dem der "echte" Thaddädl mit dem Thaddädl der Prager Aufführungen - Wenzel Svoboda (Prag 1772-1822 Wien) - möglicherweise gemeinsam auf der Bühne stand. Zudem wies sie auf zwei wichtige Quellen zum 30jährigen ABC-Schütz hin: ein Konvolut bestehend aus 38 Ariendrucken von Wiener Burlesken im Musikarchiv des Erzbischöflichen Schlosses in Kremsier (Kroměříž, CZ), in dem u. a. Colombina, die glücklich gewordene Hauben-Hefterin, und Bernardon, der 30 jährige A.B.C. Schütz enthalten ist, (1) [zur Fußnote], sowie eine Partitur der Version von Carl Friedrich Hensler und Wenzel Müller (Markt Türnau [Městečko Trnávka, CZ] 1759-1835 Baden bei Wien) im Archiv der Münchener Oper (2) [zur Fußnote]. Von beidem sind Scans bestellt, die in den nächsten Wochen im Don Juan Archiv Wien eintreffen und zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung stehen sollten.

 

Wien

 

J. Danielczyk behandelte die Aufführungen des 30jährigen ABC-Schütz während der Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen im Jahre 1892. Diese Ausstellung war äußerst bedeutend für das Image Wiens als Musik- und Theaterstadt, und es ging davon ein wichtiger Impuls zur Erforschung des "Altwiener Volkstheaters" aus. Ob die Version des 30jährigen ABC-Schütz, die zu diesem Anlass gespielt wurde, eigens dafür verfasst wurde, ist bislang nicht geklärt. Sehr wahrscheinlich ist dies zumindest bei der zweiten Strophe von Colombinas Entrée Lied, die nur auf einem nachträglich eingefügten Blatt in einem Exemplar der Wienbibliothek im Rathaus notiert ist. Der "internationale" Text lautet:

 

Alle Völker, alle Namen,

Kommen in mein' G'wölb zusammen.

Türken, Russen, Böhm Franzosen,

Schwärmen, seufzen, girren kosen,

Wie verrückt in allen Sprachen

Thun sie sanft die Cour mir machen,

Lispeln süß mit zartem Sinn:

O schöne Haubenhefterin!

Ach! Ach! Ach! Ach!

Du schöne Haubenhefterin!

 

Den Ausklang des 3. Forschungsgesprächs im Don Juan Archiv Wien bildet ein Abendessen im Restaurant Fromme Helene beim Theater in der Josefstadt.

 

Anmerkungen:

[1] Jiří Sehnal: Hudební literatura zámecké knihovny v Kroměříži, Gottwaldov 1960, S. 31-33. [zurück]

[2] Walter Krone: Wenzel Müller. Ein Beitrag zur Geschichte der komischen Oper, Diss. Berlin 1906, S. 22. [zurück]

 

 

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Letztes Update: 11.02.2015