XI. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs
Wiener Theaterzettel / Theaterrepertoire Wiens
Ort: Treventus Mechatronics GmbH
1050 Wien, Siebenbrunnengass
10. Februar 2011, 14 bis 18 Uhr
Bericht: Silvia Freudenthaler & Matthias J. Pernerstorfer
Nach mehreren Vorgesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), des Österreichischen Theatermuseums (ÖTM), der Wienbibliothek im Rathaus (WBR) sowie dem Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien (TFM) fand das 11. Forschungsgespräch des Don Juan Archiv Wien zum Thema Wiener Theaterzettel / Theaterrepertoire Wiens statt. Matthias J. Pernerstorfer, der zu dieser in den Räumlichkeiten von TREVENTUS Mechatronics stattfindenden Veranstaltung geladen hatte, eröffnete das Programm. Nach einer Begrüßung der Gäste und dem Dank an die Gastgeber kam er auf das zur Diskussion stehende Theaterzettel-Projekt zu sprechen: Es gehe bei diesem Vorhaben nicht darum, ein völlig neues Projekt zu erfinden, sondern darum, die derzeit in Wien laufenden und geplanten Initiativen zur Erschließung, Konservierung, Digitalisierung und / oder Präsentation von Theaterzetteln aufeinander abzustimmen und mit ebenfalls laufenden wissenschaftlichen Projekten zusammenzuführen. Von den zu erwartenden Synergieeffekten sollten, so Pernerstorfer, sowohl die Eigentümerinstitutionen als auch Institutionen aus Wissenschaft und Forschung profitieren. Obwohl er die Einreichung eines gemeinsamen Projektes bei einer der Förderinstitutionen mittelfristig ins Auge fasse, betonte Pernerstorfer, dass es im Moment in erster Linie um die Intensivierung des Austauschs der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter all jener Institutionen gehe, die sich mit dem Thema „Theaterzettel“ beschäftigen.
Im ersten Beitrag stellte Birgit Peter, Lehrende am TFM sowie Leiterin des Archivs und der Sammlungen des Instituts, die Frage nach dem Informationswert von Theaterzetteln. Es gelte mehrere Aspekte zu unterscheiden: Aufgrund der meist enthaltenen Angaben Jahr, Monat, Tag, Spielstätte und Titel (sowie häufig Autor, Schauspieler etc.) können Theaterzettel als Quelle für die historische Spielplanforschung genutzt werden. Zudem sind Theaterzettel für die Theatertopographie einer Stadt von großer Bedeutung, da sie nicht erst gedruckt werden, seit es stehende Häuser gibt, sondern bereits das Programm von fahrenden Theatergesellschaften ankündigten, die in Sälen oder auf Plätzen spielten. Doch reiche, so Peter, die Bedeutung von Theaterzetteln darüber hinaus: Für manche theatrale Formen (wie Zirkus oder Feuerwerk) sind sie häufig überhaupt die einzige Quelle dafür, was gezeigt wurde. Um diese vielfältigen Aspekte zu behandeln, wird im Sommersemester 2011 ein Forschungsseminar stattfinden, bei dem Studenten sowohl neue Bestände, etwa in Privatsammlungen, ausfindig machen, als auch in Bibliotheken und Archiven mitarbeiten sollen.
Julia Danielczyk, Mitarbeiterin der Handschriftensammlung der WBR, betonte die Notwendigkeit, sich im Zuge von Konservierungs- und Digitalisierungsprojekten zu Theaterzetteln die Besonderheit des Mediums Theaterzettel bewusst zu machen. An den theatertopographischen Aspekt anknüpfend, sprach sie sich für eine online-Plattform aller Wiener Spielstätten aus, in der sämtliche Theaterzettel enthalten sein sollten. Zustimmend betonte Pernerstorfer jedoch, dass es für die einzelnen Eigentümerinstitutionen zusätzlich möglich sein müsse, auch den eigenen Bestand als solchen zu präsentieren, um den Interessen der Eigentümerinstitutionen, denen es klarerweise vorrangig um die Sicherung und Präsentation des eigenen Bestandes geht, ebenso gerecht zu werden wie jenen der Wissenschaft.
Silvia Freudenthaler, Mitarbeiterin des DJA, stellte das Projekt Opern- und Theaterrepertoire Zentraleuropas vor. Es handelt sich um eine digitale Erfassung und Aufbereitung von bereits publizierten Spielplänen zur Theatergeschichte ab dem frühen 17. Jahrhundert. Um in dieser Datensammlung, die eine Ausgangsbasis für die inhaltliche Erschließung der Theaterzettel bieten kann, optimal suchen zu können, ist es notwendig, die – von Spielplan zu Spielplan sehr unterschiedlichen – Informationen für eine quantitative Analyse aufzubereiten. Um die Heterogenität der Informationen zu berücksichtigen, müssen einheitliche Kategorien geschaffen werden. Dies gilt ebenso für das Theaterzettelprojekt: Auch hier sind gemeinsame Kategorien (etwa Datum, Spielstätten, Titel) zu definieren. Gleichzeitig besteht ein Bedarf an Flexibilität, denn sobald eine neue Kategorie (etwa durch zusätzliche häufig wiederkehrende Informationen) zu bilden ist, muss diese auf einfache Weise in den Datenraster hinzugefügt werden können.
Jede Tabellarisierung stößt jedoch an ihre Grenzen: So dürfen (fehlende) Formulierungen und Informationen des Theaterzettels, die – sofern es um quantitative Auswertungen geht – eine eindeutige Zuordnung unmöglich machen, zu keinen verfälschten Ergebnissen führen. Deshalb müssen kritische Anmerkungen online zur Verfügung gestellt werden, damit ausreichend Verständnis für Benutzerinnen und Benutzer garantiert ist.
Im Anschluss daran stellte Franz Joseph Gangelmayer, Mitarbeiter der WBR, die Arbeit der von ihm betreuten Projektgruppe vor: In seiner Institution gehe um die Sichtung der Bestände, die Strukturierung und Signierung des Materials sowie um eine neue Aufstellung. Die Theaterzettel der Wienbibliothek sind nach Format, Größe und Inhalt sortiert, bilden allerdings keine organisierte Einheit, auch sind nicht alle Bestände katalogisiert. Die Anzahl der Kartons mit Theaterzetteln ist zwar bekannt, doch nicht die Blattanzahl und somit die tatsächliche Menge an Theaterzettel. Es wurde daher angedacht, einen eigenen Raum für sämtliche Theaterzettel zu schaffen: Neuzugänge ab 2010 werden bereits in einem Sonderbereich gelagert und entsprechend signiert. Eine Gesamtrevision der Theaterzettel ist geplant – heuer wird aber das Katalog-System der WBR auf ALEPH umgestellt, weswegen keine weitere Katalogisierungsarbeit möglich sein wird: Bis Juni 2011 sollen im Rahmen einer Gesamtrevision die Altbestände an Theaterzetteln jedoch aufgearbeitet und verlistet werden.
Als nächste Vertreterin einer Eigentümerinstitution sprach Daniela Franke, Mitarbeiterin des ÖTM (Programmarchiv). Im ÖTM treffen zwei Abteilungen zusammen: Bibliothek und Programmarchiv. In der Bibliothek werden die gebundenen Theaterzettel – eine Dauerleihgabe der ÖNB – stehend aufbewahrt. Dieser Bestand ist vollständiger als jener des Programmarchivs, da die Theaterzettel teilweise von den Theatern selbst für einen bestimmten Zeitraum gesammelt und gebunden abgegeben wurden. Da der erste Rechercheweg der Benützerinnen und Benützer in die Bibliothek und nicht ins Programmarchiv führt, weisen die dortigen Theaterzettel stärkere Gebrauchsspuren auf als jene des Programmarchivs, in welchem die Objekte (es handelt sich zum Teil um Zweit- und Drittexemplare) teilweise fast wie neu aussehen. Die Theaterzettel im Programmarchiv – Eigentum des Kunsthistorischen Museums (KHM) – werden liegend in Archivboxen aufbewahrt, sind jedoch nach dem System der Bibliothek sortiert (Spielstätte, Datum, usw.). Zudem gibt es Objekte, die nur im Programmarchiv zu finden sind: etwa Objekte in Übergröße (solche Exemplare werden in Schränken liegend gelagert) oder mit besonderem Design. Interessant sind vor allem die Sammlungen zu kleineren Bühnen, von denen es nur Theaterzettel gibt, die nicht gebunden wurden, weiters Ankündigungszettel zu Aufführungen außerhalb von Theatern, zum Beispiel zu Feuerwerken, Bällen, Auftritten von Zauberern usw. Die Abschätzung der Zahl von Theaterzetteln im Programmarchiv ist schwierig: Es sind ca. 5000 Schachteln, wobei die Blattanzahl nicht bekannt ist.
Franke hielt fest, dass der Ausgangspunkt für das Theaterzettel-Projekt des ÖTM die Bibliothek sein werde, wobei fehlende oder beschädigte Objekte durch Zettel aus dem Programmarchiv ergänzt werden sollen; erst in einem weiteren Schritt würde das Programmarchiv zusätzlich eine systematische Digitalisierung beginnen. Bereits in einer Datenbank verzeichnet sind ca. 600 Theaterzettel und Programmhefte, wovon wiederum ca. 300 digitalisiert sind. Es handelt sich dabei um Objekte, die für hauseigene oder externe Ausstellungen Verwendung gefunden haben oder von Benutzern als Digitalisat angefragt worden sind. Schließlich verwies Franke auf die Vorgaben des bestehenden Datenbanksystems des ÖTM, welches für den Einsatz im KHM, zu dem das ÖTM gehört, entwickelt wurde: Die bereits fixierten Eingabefelder entsprechen nur bedingt den zuvor von Freudenthaler vorgestellten Kategorien für die Metadaten von Theaterzettel. Es muss hier genau überlegt werden, ob und wie die jeweiligen Eingabefelder in Übereinstimmung gebracht werden können. Ein Problem stellen hier vor allem theaterzettelspezifische Erweiterungen innerhalb der bestehenden Datenbank dar. Einstimmig wurde daher von allen Teilnehmern festgehalten, dass ein entsprechendes System gemeinsam erarbeitet werden müsse.
Als zweite Vertreterin des ÖTM stellte Claudia Mayerhofer ihr im Zusammenhang mit dem Universitätslehrgang „Library and Information Studies (MSc)“ der ÖNB durchgeführtes Projekt vor. Ziel dieses Projektes ist erstens die Evaluierung eines Prototyps zur Digitalisierung von Theaterzetteln. Zweitens soll ein Überblick der Theaterzettelbestände in Wien und die dazu laufenden Projekte geschaffen werden. Drittens werden Möglichkeiten der Präsentation überprüft: Eine einfache Darstellung der Digitalisate, wie etwa im Format von ANNO, ist nicht zielführend, da ein Recherche-Tool geschaffen werden soll, das komplexe Suchanfragen beantworten kann.
Im Zuge dieses Projektes werden ca. 1,5 Laufmeter Theaterzettel aus dem Bestand des ÖTM mit Scannern der ÖNB digitalisiert, um den work flow zu testen. Zudem sollte gemeinsam – in Kooperation von Eigentümerinstitutionen und wissenschaftlichen Einrichtungen – ein Standard für die Digitalisierung definiert werden.
Es gehe darum, so Pernerstorfer, die Scanparameter für Auflösung, Belichtung etc. in den unterschiedlichen Institutionen so rasch wie möglich zu vereinheitlichen. Die Teilnehmer werden daher in dieser Anfangsphase die technischen Voraussetzungen der einzelnen Häuser in Erfahrung bringen.
Grundsätzlich wäre interessant, wie viel es in jeder Institution kostet, einen einzelnen Theaterzettel zu digitalisieren, d. h. wie viel Zeit und Geld benötigt wird, um einen Digitalisierungsauftrag durchzuführen. Damit würde man erkennen, ob es einen finanziellen Vorteil bringt, zuerst die gesamte Theaterzettelsammlung zu digitalisieren und schließlich aus diesen Dateien einzelne Digitalisate zu verkaufen.
Abschließend stellte Stephan Tratter Formen digitaler Bibliotheken der Firma Treventus Mechatronics vor. Treventus konzentriert sich neben der Produktion von ScanRobots auf Webauftritte für digitale Bibliotheken. Ein erster Anforderungskatalog zeigt Folgendes auf: Sowohl Auftraggeber als auch User wünschen eine hohe Auflösung, hohe Geschwindigkeit, stufenloses Zoomen und eine einfache Benützung (Suchfunktionen, Sortierbarkeit und eine stetige Erweiterung). Weiters sollen die Masterdateien weder downloadbar sein, noch die Möglichkeit eines Ausdrucks für Internetuser bestehen. Die Datenbank muss außerdem webbrowserfähig sein, damit der online-Zugang für User auch ohne zusätzliche Software möglich ist).
Tratter präsentierte das Ergebnis solcher Überlegungen: NAINUWA (dynamic digital collection viewer for digital libraries). Dieses Programm verbindet eine ansprechende Darstellung von Digitalisaten mit einem entsprechenden Editor. Der Editor wird auf jedes Projekt separat abgestimmt, wodurch eine genaue Metadatenaufarbeitung ermöglicht wird. NAINUWA verfügt über weitere Tools wie etwa eine Abstufung von kostenloser Ansicht (durch Festlegung einer bestimmten Bildauflösung zum Beispiel) bis hin zu kostenpflichtigem Ausdruckservice. Diese Programmeigenschaften können ebenfalls auf die Wünsche der Auftraggeber angepasst werden.
Im Laufe dieses Forschungsgespräches haben sich mehrere Aspekte herauskristallisiert: Die vertretenen Eigentümerinstitutionen wie auch Forschungseinrichtungen planen die Theaterzettelbestände aufzuarbeiten und – längerfristig betrachtet – zu digitalisieren. Um eine gemeinsame Datenbank dieser Digitalisate erstellen zu können, ist es sinnvoll, zu kooperieren und vor allem technische und inhaltliche Details auf einander abzustimmen. Die Erschließung der Theaterzettel liegt im Bereich der Eigentümerinstitutionen; die inhaltliche Metadatenaufarbeitung ist Aufgabe der Forschungseinrichtungen.
Tratter sprach eine Einladung zu einem Digitalisierungs-Workshop aus, bei dem Scanvorgänge, Bildqualität und der entsprechend schonende Umgang mit den Originalen Thema sein werden; es erscheint deshalb angebracht, den Kreis der Teilnehmenden um die Restauratoren der einzelnen Institutionen zu erweitern. Geplant ist ein solcher Workshop im April oder Mai. Schon davor wird am 17. März eine Theaterzettel-Exkursion stattfinden, bei der die Bestände der Musiksammlung der ÖNB, des ÖTM und der WBR präsentiert werden.