Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag

XII. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs

Wiener Theaterzettel / Theatertopographie Wiens

In Kooperation mit dem Institut für Theater- Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien

Ort: Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft

1010 Wien, Hofburg, Batthyanystiege, MZ 09 (Büro Birgit Peter)

19. Mai 2011, 9 bis 12 Uhr

 

Bericht: Jana-Katharina Mende

 

 

Nach der Begrüßung der TeilnehmerInnen durch Matthias J. Pernerstorfer und die Gastgeberin Birgit Peter stellte Angela Heide das Projekt KinTheTop des Büros für Theaterforschung artminutes vor. KinTheTop (Abkürzung für Wiener Kino- und Theatertopographie) wurde 2002 gestartet und schon zwei Jahre später online gestellt (www.kinthetop.at). Seither ist die Website kontinuierlich gewachsen. Systematisch werden alle Theater- und (später) Kinostandorte in Wien seit dem 18. Jahrhundert erfasst. Zudem wird die Geschichte und heutige Nutzung dieser Objekte dokumentiert. Diese Entwicklung ist auf der Website graphisch dargestellt, wobei die Objekte je nach Nutzungsform farblich in drei Kategorien unterteilt werden: Kinos sind grau, Theater gelb gekennzeichnet, Standorte, die heute weder in die eine noch in die andere Kategorie fallen, sind blau markiert. Die Erfassung erfolgt nach Bezirken, die Daten werden alphabetisch nach dem letzten Standort gelistet. Es gibt allgemeine Angaben zum Datum der Gründung bzw. zur Schließung (diese Datumsangaben können sich auf unterschiedliche Dinge beziehen, z. B. den Tag der ersten Premiere, die Gewährung der Konzession etc.), außerdem werden die Adresse und der Fassungsraum angeführt. Die Detailinformationen sind von Objekt zu Objekt unterschiedlich umfangreich; teilweise wird auch auf weiterführende Literatur und Quellen verwiesen. Die Texte auf der Website werden vorwiegend zu Objekten geschrieben, für die nur wenig oder gar keine Literatur vorliegt.

 

Insgesamt wurden diesem Projekt rund 800 Standorte erfasst, vielfach flossen Hinweise seitens der Nutzer (Kinogänger, -besitzer und -betreiber) ein. Für die Darstellung auf der Website ist geplant, dem Vorbild des Historischen Atlas Wiens entsprechend, die Entwicklung der Kino- und Theatertopographie historisch nachvollziehbar zu machen.

 

Anschließend daran berichtete Gerhard Meißl vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung über den Historischen Atlas Wiens, der in Themenkarten Informationen etwa zur Wirtschaft, Sozialstruktur, Kultur, Infrastruktur u. a. von 1848 bis 1938 in Landkarten übersetzt. Das Projekt wurde 1978 begonnen, und bis jetzt entstanden über 100 Karten sowie zahlreiche Kommentarbände. Neben Kartogrammen, die etwa auf Volkszählungsdaten basieren und z. B. nach Bezirken verlaufen, werden auch Punktekarten erstellt. Zu den Freizeitstätten Wiens werden zurzeit solche Punktekarten für die Jahre 1857, 1892, 1913 und 1937 erarbeitet. Darin werden die Standorte verschiedenster Vergnügungsmöglichkeiten wie Konzertsäle, Tanzschulen, Sportvereine, Schwimmbäder, aber auch Opernhäuser, Theater und Kinos verzeichnet. Daran lässt sich z. B. ein starker Anstieg von Sportvereinen in den Jahren 1850 bis 1890 ablesen. Die Standorte werden mit einer speziellen Signatur in eine aufbereitete historische Grundkarte eingetragen (georeferenzierte Karten, durch welche sich historische Entwicklungen dynamisch darstellen lassen, werden bislang nicht erstellt).

 

Bezüglich der Karte zu den Freizeitstätten ist zu erwähnen, dass es zu den Standorten keine Detailinformationen gibt; so ist beispielsweise nicht ersichtlich, um welches Theater es sich handelt – nur die Lage und Kategorie (Theater) werden verzeichnet. Eine Verknüpfung dieser Karten mit theatertopographischen Projekten wäre sicherlich günstig. M. J. Pernerstorfer gab zu bedenken, dass eine Auskopplung der Theater, Opernhäuser und sonstigen Spielstätten dramatischer Kunst aus der Karte der Freizeitstätten für eine umfassende Bearbeitung der Wiener Topographie wünschenswert sei. Möglich wäre das etwa in Form einer Kooperation zwischen dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung und dem Don Juan Archiv Wien; allerdings sollte dafür die zeitliche Grenze verschoben werden, um auch Daten aus dem 18. Jahrhundert berücksichtigen zu können.


Birgit Peter stellte ein Projekt vor, das vom Institut für Theater- Film- und Medienwissenschaft vor zehn Jahren begonnen, allerdings aufgrund mangelnder Finanzierung nicht abgeschlossen wurde. Dabei handelt es sich um eine Datensammlung zur österreichischen Theatertopographie zwischen 1918 und 1938. Die erarbeiteten Daten sind noch vorhanden und liegen auf Disketten (die sich glücklicherweise noch öffnen lassen) gespeichert vor. Darauf finden sich neben Daten, Adressen oder Namen auch Wanderlizenzen etc.; die Quellen sind jeweils genau verzeichnet. Sinnvoll wäre es, die sehr umfangreichen Daten des Projekts des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft online zu bringen und damit öffentlich zugänglich zu machen. Dann könnte die Quellensammlung als Wegweiser durch das gesammelte Material genutzt werden.


Grundsätzlich sollten laut B. Peter bei einem Projekt zur (Wiener) Theatertopographie nicht nur die stehenden Häuser berücksichtigt werden, sondern auch die Wege der Wandertruppen. Diesbezüglich verwies sie auf das Buch von Brigitte Felderer und Ernst Strouhal: Rare Künste. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Zauberkunst (Springer Verlag: Wien 2007). Darin wird die Situation des Theater- und Kunstlebens in Linz nachgezeichnet und mit zahlreichen Theaterzetteln illustriert, wobei der Fokus auf der Mobilität der Schausteller liegt.


Magdalena A. Puchberger vom Institut für Europäische Ethnologie gab einen Einblick in das FWF-Projekt Museale Strategien in Zeiten politischer Umbrüche. Das Österreichische Museum für Volkskunde in den Jahren 1930-1950. Hier sollen Volkstum und Heimat als Inszenierungsformen bestimmter Ideologien erforscht werden, und zwar mit einem besonderen Augenmerk auf das Volkskundemuseum als Ort dieser Inszenierungen. Zusammenhänge zum Theater bestehen durch die zahlreichen Formen von Volkstanz, Volksspiel, Schauspiel, Puppenspiel, Krippenspiel, Lichtbildvorträgen oder Faschingsveranstaltungen, die ebenfalls dort stattfanden sowie jene, die von dort angesiedelten Vereinen, anderorts präsentiert wurden. Diese Veranstaltungen wurden auf ‚Vergnügungszetteln‘ (B. Peter) angekündigt, die strukturell den Theaterzetteln ähnlich sind. Insgesamt lässt sich für den untersuchten Zeitraum eine ideologisch besetzte Inszenierung idyllischer Ländlichkeit im städtischen Raum des 8. Wiener Gemeindebezirkes feststellen.

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An die Diskussion zu ideologisch hoch aufgeladenem Theaterspiel anknüpfend stellte Franz J. Gangelmayer seine Dissertation über das Wiener Gauarchiv der NSDAP vor (Das Parteiarchivwesen der NSDAP. Rekonstruktionsversuch des Gauarchivs der NSDAP-Wien. Wien 2010), dessen Restbestände in verschiedenen Wiener Archiven lagern.

 

Im Anschluss an das 11. Forschungsgespräch  und die Ergebnisse der Theaterzettelexkursion  präsentierten Daniela Franke, Claudia Mayerhofer und Franz Gangelmayer die neusten Entwicklungen in den jeweiligen Theaterzettelsammlungen. Im Vordergrund standen auch beim 12. Forschungsgespräch Probleme der Zugänglichkeit, Lagerung und Verzeichnung.

 

Österreichisches Theatermuseum

Daniela Franke, Leiterin des Programmarchivs des Österreichischen Theatermuseums, ging von der Fragestellung aus, wie sich die Theaterzettel ihrer Sammlung den Forschenden zugänglich machen lassen. Dabei geht es grundsätzlich um Fragen der inhaltlichen Erschließung sowie dem Umgang mit Widersprüchen, die aufgrund der unterschiedlichen Angaben auf den Theaterzettel bzw. allgemein durch die Gattung Theaterzettel entstehen. Daher ist in den letzten Jahren die Ablage der Theaterzettel im Programmarchiv nicht einheitlich erfolgt. In der Datenbank des Österreichischen Theatermuseums sind Spielstätte und Schauspieltruppe erfasst (und suchbar), wobei dafür jeder Theaterzettel gesondert verzeichnet werden muss.   

 
Claudia Mayerhofer vom Österreichischen Theatermuseum berichtete von der Sammlung der Theaterzettel, die in der Bibliothek gebunden vorliegen. Im Rahmen des Projekts „Evaluierung eines Prototyps zur Digitalisierung von Theaterzetteln“ soll eben diese Frage nach der online-Nutzung der Theaterzettel beantwortet werden. Dabei muss auch bedacht werden, welche Metadaten zu einer Darstellung im Internet notwendig sind.


Wienbibliothek im Rathaus

 

F. J. Gangelmayer, Wienbibliothek im Rathaus, gab an, dass die Theaterzettel dort nach Spielstätten geordnet werden, da der Sammelschwerpunkt auf den Wiener Theatern liegt und Wandertruppen keine besondere Rolle spielen. Außerdem gibt es zahlreiche Programmhefte, denen Theaterzettel beiliegen; diese werden lose in Mappen gelagert.


Bei Mehrfachexemplaren wird das am besten erhaltene aufbewahrt, sodass eventuelle Lücken z. B. in der Sammlung des Österreichischen Theatermuseums anhand dieser Bestände geschlossen werden können.


Diskussion

 

M. J. Pernerstorfer plädierte für eine Vereinheitlichung der Theaternamen und -bezeichnungen in Form einer Normdatenbank, die es erlaubt, auch Synonyme der verschiedenen Theater zu suchen und zu identifizieren. D. Franke bemerkte, dass in der Datenbank des Österreichischen Theatermuseums ein ‚Spielstätten-Thesaurus‘ existiert, der eben das ermöglicht. Der Oberbegriff, der für das jeweilige Theater gewählt werden soll, sei aber auf jeden Fall diskussionswürdig.

 
Herausforderungen, die eine solche Datenbank aufwirft, sind Fragen nach den Adressen, Adressänderungen, die Definition dessen, was als Theater gewertet werden sollte (z. B. auch Laienaufführungen?). Als mögliche Quelle erwähnte B. Peter die im Wiener Stadt- und Landesarchiv befindlichen Theaterkonzessionen.


Als nächster Schritt steht die Beschäftigung mit den Daten des Theatertopographieprojekts des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft bevor, die so schnell wie möglich nutzbar gemacht werden sollen, um die Basis für weitere Forschungen zu bilden.

 

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Letztes Update: 11.02.2015