Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag

Von der Digitalisierungsidee zur digitalen Bibliothek 

Wege für Museen, Bibliothekenund Archive in die Europeana
31. Mai 2012, Wien

 

Matthias J. Pernerstorfer

 

 

Am 31. Mai fand im Don Juan Archiv Wien eine Tagung zur Digitalisierung statt, in der die wesentlichen Stationen eines Digitalisierungsprojektes behandelt wurden: von der Planungsphase über die konkrete Digitalisierung, die Erschließung und Sicherung der Digitalisate bis hin zu deren Präsentation im Internet. Zugleich bot eine kleine Ausstellung die Möglichkeit, Digitalisierungsgeräte mehrerer Firmen kennenzulernen und zu vergleichen. Veranstaltet wurde die Tagung vom Don Juan Archiv Wien in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Wien , der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol und EuropeanaLocal Österreich.

 

Konzeption

Ziel der Tagung war es, Personen und Institutionen, die Digitalisierungsprojekte planen oder bereits umsetzen, von den Erfahrungen aus realisierten Vorhaben profitieren zu lassen.

Ein Bericht über die Maßnahmen zur Online-Stellung der Wiener Adressbücher von 1859 bis 1942 (Umfang: 200.000 Seiten, Dauer: Dezember 2009 bis Jänner 2011) an der Wienbibliothek im Rathaus eröffnete das Programm. Anita Eichinger formulierte im Zuge dessen Konsequenzen für künftige Projekte. Eine intensive Planungsphase sei bei Digitalisierungsvorhaben unumgänglich, um den zeitlichen Rahmen sowie den personellen und finanziellen Aufwand so genau wie möglich abschätzen zu können. Zu klären gilt es dafür, was und wie viel mit welcher Methode wo digitalisiert wird, wie die Digitalisate nachzubearbeiten und zu speichern sind, welche Metadaten zur Erschließung und welche Schnittstellen für den Datenaustausch benötigt werden, sowie in welcher Form die Präsentation erfolgen soll.

Im Anschluss daran widmete sich die Leiterin der Digital Services der Österreichischen Nationalbibliothek, Christa Müller, medienspezifischen Herausforderungen auf dem Weg zur ‚Digitalen Bibliothek‘. Sie ging von den unterschiedlichen Projekten der ÖNB aus, die von ‚Boutiquedigitalisierung‘ bis zur Massendigitalsieriung (Google, ANNO – AustriaN Newspapers Online) reichend, und betonte die Relevanz des Ausgangsmaterials sowohl für den Digitalisierungsprozess als auch für die Präsentation der Ergebnisse. Einerseits wird durch das jeweilige Medium – Texte, Bilder, Karten, Fotos oder Audio- und Videoaufnahmen – die Auswahlmöglichkeit der eingesetzten Geräte vorgegeben, andererseits stellt das Publikum an die Darbietung von Digitalisaten bestimmter Medien unterschiedliche Anforderungen, so sind z. B. Zeitungen mit Kalenderdaten zu koppeln und Karten mit einer Geo-Referenzierung zu versehen.

 

Geräte & Arbeitsabläufe

Im Rahmen der Tagung präsentierte Treventus Mechatronics den ScanRobot®2.0 MDS; Qidenus Technologies war mit zwei Modellen vertreten, dem Qidenus Robotic Book Scanner – RBS TT und dem Qidenus Robotic Book Scanner – RBS 3.0. Beide Firmen produzieren vollautomatische bzw. voll- und semiautomatische Digitalisierungsgeräte, die den Vorteil haben, dass die Bücher nur 60° bzw. 80° geöffnet werden müssen; jede von ihnen setzt jedoch auf unterschiedliche Technik (Scanner bzw. Fotoapparate, Ansaugtechnik bzw. bionischer Finger). Auflichtscanner kamen von der Zeutschel GmbH und der ImageWare Austria GmbH. Der formschöne OS 15000 von Zeutschel wird vielfach in kleineren Archiven eingesetzt, der Book Eye® 4 von ImageWare findet vor allem im Freihandbereich von Bibliotheken Verwendung, da er die Möglichkeit bietet, die Digitalisate direkt auf externe Speichermedien zu transferieren. Der Traveller vom Digitalisierungszentrum der Karl-Franzens-Universität Graz mit einem Gewicht von 23 kg und einer Aufbauzeit von sieben Minuten ist die transportable Variante des von einem Restaurator entwickelten „Grazer Buchtisches“ und kommt häufig in entlegenen Archiven und Bibliotheken zum Einsatz.

Die Vorträge der Erzeugerfirmen machten zwei Aspekte deutlich:

1. Die ausgestellten Geräte konkurrieren nur bedingt miteinander, denn die zu digitalisierenden Materialen geben aufgrund ihrer Beschaffenheit bereits vor, mit welcher Technologie nicht zu digitalisieren ist; bei Büchern etwa, die nicht zu 180° geöffnet werden können, liefern Flachbett- oder Auflichtscanner keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Für lose Blätter hingegen eigenen sich in erster Linie solche Modelle.

2. Da der Nachbearbeitungsprozess bei einem Digitalisierungsprojekt mindestens ebenso lang dauert wie das Scannen/Fotografieren, gewinnt die Entwicklung von effizienten Arbeitsabläufen in der Bildbearbeitung und Speicherung auch für die Gerätehersteller immer mehr an Bedeutung.

 

Datenverwaltung: AufBereitung, Erschliessung, Speicherung

Wolfgang Novak von Treventus konzentrierte sich in seinem Vortrag auf ScanStage™, ein Content Management System zur Abwicklung des Digitalisierungsprozesses bis zur Erstellung einer digitalen Forschungsbibliothek – in das zahlreiche Ideen aus der Zusammenarbeit mit dem Don Juan Archiv an der digitalen Bibliothek Nainuwa eingeflossen sind. Dieser Beitrag einer Herstellerfirma verwies bereits auf die Praxisbeispiele zum Einsatz gängiger Software-Produkte für die Erschließung und Präsentation in der folgenden Vortragsgruppe.

Die Wienbibliothek im Rathaus arbeitet mit Visual Library, dem modularen Datenverwaltungssystem der semantics Kommunikationsmanagement GmbH für Digitalisierungsvorhaben. Einsatz findet die Visual Library, so Anita Eichinger, zur Abwicklung von Projekten in den Bereichen Neu- und Retrodigitalisierung ebenso wie bei der Erstellung von elektronischen Publikationen und Semesterapparaten sowie dem auch an der Wienbibliothek angebotenen Dokumentenlieferservice EOD (siehe dazu den letzten Abschnitt dieses Beitrags).

Die Universitätsbibliothek Wien setzt, wie Susanne Blumesberger berichtete, auf das hausintern entwickelte System PHAIDRA (Permanent Hosting, Archiving and Indexing of Digital Resources and Assets) zur Speicherung und Bereitstellung von Daten für Lehre, Forschung, Studium und Verwaltung, das von 80.000 Personen genutzt wird. Das Zugriffskonzept ermöglicht, Nutzergruppen zu definieren und entsprechende Zugriffslizenzen zu vergeben sowie Objekte – auch multimediale – je nach Gruppe unterschiedlich darzustellen und zu beschreiben.

Über den Einsatz von Goobi an der Oberösterreichischen Landesbibliothek sprach Gregor Neuböck. Diese Open-Source-Software für Digitalisierungsprojekte mit einer großen Entwicklergemeinde hat den Vorteil, dass sie unabhängig vom Betriebssystem der jeweiligen Institution eingesetzt und den konkreten Bedürfnisse genau angepasst werden kann.

Tamir Hassan von der Pattern Recognition and Image Processing Group der Technischen Universität Wien präsentierte ein gemeinsam mit dem Don Juan Archiv entwickeltes Projekt zu einer so weit wie möglich automatisierten inhaltlichen Erschließung von Theaterzettel-Beständen. Ein wesentlicher Punkt der Ausführungen war, dass für das menschliche Auge ‚schöne‘ Digitalisate nicht notwendigerweise die optimale Basis für eine maschinelle Weiterverarbeitung (Bild-/Text-Unterscheidung, Texterkennung o. dgl.) darstellen; die Digitalisierungsmethode ist daher je nach der beabsichtigten Verwendung der Digitalisate zu wählen.

Um die Nachhaltigkeit von Digitalisierungsprojekten zu gewährleisten, ist der Aspekt der Langzeitarchivierung von Anfang an mitzubedenken. Adelheid Mayer von der UB Wien widmete sich diesem Thema und formulierte Strategien, wie dieser Herausforderung begegnet werden kann (‚Institutional Policies‘): Aufbau von Repositorien, um die Möglichkeit der Migration von Digitalisaten und Metadaten langfristig zu sichern; Einhaltung der international etablierten Standards für die Metadaten; Einsatz von gängigen Schnittstellen sowie die Kooperation mit Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene.

 

Europeana

Den Abschluss bildeten zwei Vorträge über Europeana, das Internet-Portal der Europäischen Union für kulturelles Erbe, das mittlerweile 23 Millionen Objekte aus 2200 Institution online zugänglich macht. Wolfram Seidler (UB Wien) fasste die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für die Einspeisung von Daten in die Europeana zusammen. Gerda Koch von EuropeanaLocal Austria erklärte das konkrete Prozedere, um ein Digitalisat in die Europeana zu bringen.

Die Unterzeichnung des „Data Exchange Agreements“ zur Klärung von Fragen des Urheberrechts ist die Voraussetzung für jegliche Einspeisung von Daten in die Europeana. Weiters muss es persistente Identifier bzw. persistente URLs geben, damit die Digitalisate eindeutig adressierbar sind. Zudem ist es notwendig, dass eine Institution ihre digitalisierten Objekte rund um die Uhr online stellt. Für den Transfer selbst ist die Verwendung der erforderten Metadatenformate (ESE – European Semantic Elements, EDM – Europeana Data Model) ebenso grundlegend wie der Einsatz von entsprechenden Schnittstellen (OAI-PMH – The Open Archives Initiative Protocol for Metadata Harvesting). Hierbei werden die Institutionen von den regionalen Aggregatoren wie EuropeanaLocal Austria unterstützt

 

Digitalisierung auf Nachfrage

Neben Projekten, in deren Rahmen Bestände oder Bestandsgruppen vollständig digitalisiert werden, hat sich in den letzten Jahren der Dokumentenlieferdienst EOD (E-books on demand) durchgesetzt. Dieser ist als Reaktion auf das Bedürfnis von Leserinnen und Lesern entstanden, Bücher, die zuvor noch nicht im Rahmen von Digitalisierungsinitiativen erfasst worden sind, in digitaler Form zu bestellen, und bietet gemeinfreie Werke von Buchdeckel zu Buchdeckel in hoher Qualität digitalisiert inklusive Texterkennung an. Die Lieferzeit beträgt ca. 7 Tage, der durchschnittliche Preis beläuft sich auf 5–10 € Grundgebühr zuzüglich 0,15–0,30 € pro Seite.

Die Gesamtkoordinatorin von EOD, Silvia Gstrein von der ULB Tirol, skizzierte die allgemeine Entwicklung des Dokumentenlieferdienstes, der mittlerweile von über 30 Partnerinstitutionen in zwölf europäischen Staaten angeboten wird und über den bereits mehr als 5.000 Bücher, d.h. rund eine Million Seiten, digitalisiert worden sind.

Über den Einsatz von EOD an der UB Wien berichtete Pamela Stückler. Leserinnen und Leser können über Online-Kataloge, über die EOD-Suchmaschine oder direkt bei der Digitalisierungsabteilung der Bibliothek Bücher in digitalisierter Form bestellen. Nachdem der von der UB Wien gemachte Kostenvoranschlag angenommen ist, werden Verfügbarkeit und Zustand des Buches sowie Urheberrechtsfragen geklärt. Sofern das Objekt nicht katalogisiert ist, wird dies nachgeholt. Danach erfolgt die Digitalisierung bis zur Erstellung eines pdf-files, auf Wunsch inklusive Texterkennung. Mit Bezahlung und Auslieferung ist der Vorgang für den Kunden abgeschlossen; in der UB Wien erfolgt danach die Einspeisung in Phaidra (siehe oben): im Online-Katalog erscheint ein Link zum Digitalisat in Phaidra und das Objekt ist auch über Europeana aufzufinden.

 

Auf der Tagungshomepage des Don Juan Archivs stehen Power-Point-Präsentationen zum Download bereit:

 

 

 

* Vgl. den Bericht von Jana-Katharina Mende in den AKMB-News 2011/2 sowie die Publikation zur Tagung: Theater-Zettel-Sammlungen. Erschließung, Digitalisierung, Forschung. Hg. von Matthias J. Pernerstorfer, Wien: Hollitzer Wissenschaftsverlag 2012 (= Bibliographica 1).

 

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Letztes Update: 20.05.2015