Die Arien der Comoedie Hanns=Wurst, der lächerliche Instructor, und Bernardon, das narrische Studentel sind im zweiten Band der Ariensammlung (Nr. 66, S. 127-135) enthalten, d.h. sie wurden von Max Pirker 1929 ediert und kommentiert. Daher kann einerseits auf Prikers umfangreiche Ausführungen zurückgegriffen werden, andererseits lässt sich zeigen, inwiefern vom Projekt zur Ariensammlung neue Erkenntnisse zu erwarten sind.
Quellen
Pirker erwähnt für den Text der Gesangseinlagen im Kommentar (Bd. 2, S. 330-335) drei relevante Quellen:
(1.) Sperontes | Singende Muse | an der | Pleisse | in | 2.mahl 50 Oden, | der neuesten und besten musicalischen Stücke | mit den darzu gehörigen Melodien | zu beliebter | Clavier Übung und Gemüths Ergötzung | Nebst einem Anhange | aus J. C. Günthers Gedichten. | Leipzig. | auf Kosten der künftigen Gesellschafft. | 1736. (ND 1964)
(2.) Der Wiener Hanswurst. Stranitzkys und seiner Nachfolger ausgewählte Schriften. Herausgegeben von R. M. Werner. II. Baendchen. Ollapatrida des Durchgetriebenen Fuchsmundi von J. A. Stranitzky (1711), Wien: Verlag von Carl Konegen 1886 (Wiener Neudrucke 10), S. 150-154. (Cap. XXV. Fuchsmundi ist ein Tantzmeister / meldet sich bey zwey Jungfern an / die mit Studenten bekandt seyn.)
(3.) Deutsche Volks und Gesellschaftslieder des 17. und 18. Jahrhunderts. Wort und Weise gesammelt und herausgegeben von Franz Wilhelm Freiherrn von Ditfurth, Nördlingen: C. H. Beck'sche Buchhandlung 1872, S. 226f. (Nr. 184).
Von den sechs Gesangseinlagen aus Hanns=Wurst, der lächerliche Instuctor, und Bernardon, das narrische Studentel haben drei eine Entprechung in Sperontes Singende Muse an der Pleisse, einer wichtigen Quelle der Ariensammlung, aus der auch andere Stücke ihre Arien beziehen: Nr. 22 ~ Num. IV, Nr. 46 ~ Num. II, Nr. 52 ~ Num. III. In den beiden anderen Sammlungen, von welchen vor allem Der Wiener Hanswurst von Relevanz ist, findet sich jeweils das Studentenlied Num. VI (bei Sperontes und Ditfurth ist jeweils eine Melodie erhalten).
Weiters ist ein bislang nicht beachtetes Arienheftchen der im Besitz der Harvard University befindlichen Sammlung German and Austrian Drama, von der das Don Juan Archiv Wien eine Mikrofilm-Edition besitzt, zu berücksichtigen. Dieses gibt die in der Ariensammlung enthaltenen Texte fast vollständig wieder.
(4.) Arien, | welche in der | Comoedie, | betitelt | das Stadtgut zu Wienn, | oder | Hannswurst, | der lächerliche | Instructor, | und | Jackerl | das närrische | Studentel | gesungen werden. | Wien, gedruckt mit v. Gehlischen Schriften.
Der Titel des Ariendrucks unterscheidet sich von jenem der Ariensammlung darin, dass als Ersttitel Das Stadtgut zu Wienn genannt ist und statt Bernardon nun Jackerl die Rolle des narrischen Studentels spielt. In Jackerl ist Johann Christoph Gottlieb zu erkennen, der ab dem 17. Dezember 1763 mit 10 fl. wöchentlich am Kärntnerthor-Theater engagiert war.[1] Der Druck dürfte demnach aus den Jahren danach stammen.
Ein Vergleich zwischen dem Text der Ariensammlung und dem Arienheft zeigt, dass einige Strophen (Num. IV, 2 und Num. VI, 2, 4 und 5) fehlen, doch sonst unterscheidet sich der Text nur bzgl. der Orthographie und der Zeichensetzung. Demgegenüber sind bei den anderen Drucken auch substanzielle Unterschiede zu verzeichnen. Nennenswert sind zwei Abweichungen, die auf das Wirken der Zensur zurück zu führen sein dürften: "dies kann eben Freude geben" im Studentenlied (Num. VI 1, 4f.) statt "Gott hats geben/ Mercket eben/" sowie "Vivant alle insgemein" (Num. VI 6, 6) statt "Vivant alle Jungfräulein/" in der Ollapatrida.
Szenar
Das letztgenannte Arienheftchen ist aufgrund des Alternativtitels Das Stadtgut zu Wienn von großem Interesse und leitet zu dem Szenar Der Spaziergang im Brader oder Casperle, das närrische Studentl, und Hannswurst, der einfältige Hofmeister (ÖNB Cod. 13.608; Transkription und Edition des Szenars) über. Dieses Szenar gehört zu einer Gruppe von Szenaren der Schulz-Menningerschen Schauspieltruppe, die über die Sammlung von Ignaz Franz Castelli (Castelli Nr. 24) 1841 in die Hofbibliothek gelangte.
Otto G. Schindler stellt zu diesen Szenaren fest: "Mit Ausnahme der jüngsten Handschrift, dem 1770 entstandenen Spaziergang im Brader, stammen alle Manuskripte von der Hand des Schauspielers Karl Richter; er hat sich in einigen Handschriften auch als Carl Richter p. T. Comicus verewigt. Im Spaziergang im Brader taucht sein Name ebenfalls auf, diesmal allerdings nicht als Schreiber, sondern als Darsteller inmitten eines Ensembles, das sich unschwer als das der »Badner Gesellschaft« identifizieren läßt."[2] Eine Zuschreibung der Autorschaft nimmt Schindler nicht vor; dasselbe gilt für Helmut G. Asper. Mehrfach wurde jedoch - trotz des Handschriftenbefundes - Karl Richter als Verfasser angenommen; etwa von Karl Goedeke, Max Pirker und Reinhart Meyer.
Im Rahmen von Recherchen zu Marinellis Dom Juan wurde dessen signiertes Manuskript zu Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Casperle in sechserlei Gestalten (WB Cod. H.I.N. 130.252) eingesehen, und ein Vergleich mit ÖNB Cod. 13.608 zeigt, dass beide Handschriften von demselben Schreiber stammen.
Blickt man weiters auf das Personenverzeichnis, so fällt auf, dass nur bei drei der größeren Rollen der Name des Schauspielers nicht notiert ist: Beim berühmten Casperle, der von Johann Laroche gespielt wurde, bei Hanswurst, den stets der Prinzipal Johann Matthias Menninger gab, und bei "Mons. Francois ein Kammerdiener". Hier hat wohl Marinelli seinen eigenen Namen nicht dazugeschrieben.
Da Marinelli aus dem Kreis der »Badner Gesellschaft« aufgrund seiner Tätigkeit als "Hausdichter" und seines Bezugs gerade zur Jägerzeile und zum Prater ohnehin der wahrscheinlichste Kandidat für die Autorschaft gewesen ist, nehme ich ihn nach diesen Beobachtungen zuversichtlich als Autor an.
Arien
Hanns=Wurst, der lächerliche Instructor, und Bernardon, das narrische Studentel verbindet mit dem Szenar Der Spaziergang im Brader, oder Casperle, das närrische Studentl, und Hannswurst, der einfältige Hofmeister bereits der Titel. Darüber hinaus finden sich drei der im Szenar erwähnten Arien unter jenen der Ariensammlung:
S. 3v Casp: was die | Freule hier habe. lazzo | mit der Musche. Arie.
Es folgt Num. III. "Nihm die Musche.."
S. 3v Casp. Arie. Ich kann das Mauhl ez.
Es folgt Num. V. "Ich kann das Maul.."
S. 9r Zwey Studenten. singen ihr Liedch[en]
Es folgt (wahrscheinlich) Num. VI.
Interessanter Weise ist der Einsatz der ersten beiden Arien erst in einem zweiten Arbeitsschritt notiert, wie schön daran zu erkennen ist, dass sich der Eintrag zu "Nihm die Musche.." am linken Rand findet und auch für den Hinweis auf "Ich kann das Maul.." ursprünglich kein Platz vorgesehen war.
Rezeption
Der Druck Arien, welche in der Comoedie, betitelt das Stadtgut zu Wienn, oder Hannswurst, der lächerliche Instructor und Jackerl das närrische Studentel gesungen werden belegt die Existenz eines Stückes, in welchem sämtliche Arien der Nummer 66 der Ariensammlung enthalten waren und dessen Liebeshandlung offensichtlich wie in Der Spaziergang im Brader, oder Casperle, das närrische Studentl, und Hannswurst, der einfältige Hofmeister im Grünen spielte.
Allem Anschein nach entwarf Marinelli die Praterhandlung von Der Spaziergang im Brader um 1770 auf der Grundlage des Stücks Das Stadtgut zu Wienn. Dazu passt, dass der Prater seit 1766 öffentlich zugänglich war und die Schauspieltruppe, die Marinelli mittlerweile mit Johann Matthias Menninger leitete, 1769 das erste Mal nach Wien kam und dort in der Leopoldstadt in der Nähe der Jägerzeile im Wimmerischen bzw. Zserninischen Saal spielte.
Es lässt sich leider nicht nachvollziehen, ob Marinelli die Handlung gegenüber der Vorlage verändern musste, um die Arien zu verwenden. Denkbar ist sowohl, dass er ähnliche Szenen in seinem Szenar skizzierte, als auch, dass er seine Figuren nur in vergleichbare Situationen oder Stimmungen versetzte, in welchen einige Arien seiner Vorlage passten. Eine Rekonstruktion einer Vorlage ist und bleibt ein heikles Unterfangen.
Schluss
Die Arbeit an diesem Szenar erbrachte eine Identifizierung von dessen Autor und zum Stück der Ariensammlung wurde ein bislang nicht berücksichtigter Ariendruck in die Diskussion gebracht. An jeden neuen Fund schließen sich neue Fragen an, und so ist verständlich, dass ein umfassender Kommentar zu den 261 Stücken der Ariensammlung nur das langfristige Ziel des Editionsprojektes des Don Juan Archivs Wien sein kann.
[1] So Franz Hadamowsky, "Leitung, Verwaltung und ausübende Künstler des Deutschen und französischen Schauspiels, der italienischen ernsten und heiteren Oper, des Balletts und der musikalischen Akademien am Burgtheater (Französischen Theater) und am Kärntnerthortheater (Deutschen Theater) in Wien 1754-1764", in: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung XII, 1960, S. 113-133, dort S. 122. [zurück]
[2] Stegreifburlesken der Wanderbühne. Szenare der Schulz Menningerschen Schauspielertruppe. Nach Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek herausgegeben von Otto G. Schindler, St. Ingbert: Werner J. Röhrig Verlag 1990, S. 9. [zurück]
Publikation zum Projekt
Matthias J. Pernerstorfer: "Karl von Marinellis Spaziergang in den Prater", Nestroyana 2009, Heft 1-2 (2009), pp. 23-32. (pdf-file)
(mjp)